Ein kalter trüber Morgen. Ostrava in eine weißgraue Schneedecke gehüllt. Ich mache mich auf nach Auschwitz, etwa hundert Kilometer entfernt in Polen. Es schneit die ganze Zeit, im Auto mit mir, Samuel und seine ehemalige Religionslehrerin. Wir sprechen nicht viel, verschlafen und ungewiss was uns erwarten wird. Wir alle haben schon ein oder mehrere Konzentrationslager gesehen, aber nicht Auschwitz. Den Inbegriff des Holocaust, den Ort der ein Zeichen geworden ist, mehr als nur ein Ort des Schreckens.

Wir kommen in Auschwitz an, es ist immer noch trüb, aber nicht mehr so grau wie in Ostrava. Zuerst ein kleines Mittagessen, Suppe, nach polnischer Art und Kaffee. Besser jetzt etwas essen, wir sind uns einig, danach werden wir wohl nichts runter bekommen.

Wir laufen, still und langsam, durch das Tor, dem Eingang zu Auschwitz I, „Arbeit macht Frei“. Es ist alles so wie ich es von Bildern und Filmen kannte, nur das Gefühl war nicht das Selbe. Nicht zu definieren.

Wir sind in einer der Blocks, er soll das Leben der Inhaftierten zeigen. Alles bekannt, die Bilder, die Informationen, die Umstände. Aber nicht das Gefühl der Distanz.
Im Mittelgang hängen Porträts der hier gestorbenen Frauen und Männer. In mir kommt der Reiz kotzen zu müssen, ich kann mich nicht dagegen wehren, aber wirklich übergeben muss ich mich auch nicht. Aber die Übelkeit übermannt mich, ich muss raus gehen.
Warum? Ich habe schon vorher Bilder der Menschen in Auschwitz gesehen, kannte die Zahlen der hier getöteten, habe Zeitzeugenberichte gelesen und gehört. Aber die Bilder, so viele nebeneinander sind bedrückender, wenn man an dem Ort der Qualen, dort wo sie sie erlitten haben, sieht.
Ich stehe vor der Tür des Blocks, unterhalb der Treppe und warte auf Samuel. Ich blicke mich um, es sind 28 Blocks, alle sehen gleich aus. In allen hängen die Bilder der Verstorbenen. In mir wird es leer. Ich kann es sehen was hier geschehen ist, aber nicht fassen, begreifen, greifen.
Mein Blick schweift über den Schnee, der so weiß und friedlich den Ort des Todes schmückt. Block 10, der Gefängnisblock, ein Perversum Maximum, ein Gefängnis im Gefängnis. Hier gibt es eine Ausstellung in der gezeigt wird wie und aus welchen Gründen die Häftlinge gefoltert werden.
Im Keller kann man die Schreie aus vergangenen Tagen riechen, schmecken, ja förmlich spüren, so grausam ist dieser Ort. Die Zellen sind dunkel, ohne Fenster, kein Spalt in der Tür, klein, kalt. Doch nicht das schlimmste. Weiter hinten gibt es Stehzellen, in denen Häftlinge mehrere Tage stehen mussten, nicht genug Platz um sich hinzu hocken, nicht mal umdrehen war möglich.

Uns reicht es, die körperlich Gefühlte geistige Beanspruchung ist zu viel, wir gehen langsam und still aus dem Lager heraus, so wie wir gekommen sind, wenn doch alle hätten gehen können.

Birkenau, das größere Lager. Wir kommen an der Rampe an, dem Ort der Ankunft. Nach Tagelanger qualvoller Fahrt in Viehwaggons kommen die Menschen hier an. Viele werden gedacht haben, das schlimmste sei nach der Fahrt überstanden, beim ersten Blick auf Birkenau sollte jedem klar geworden sein, das allerschlimmste liegt hier, in Birkenau.
Erschreckende ist die Perfektion die sofort erkennbar ist, die mathematisch berechnete Systematik, der Plan hinter dem Lager. Es ist riesig, quadratisch und alle Wege führen zum Krematorium, es gibt nur einen Weg.
Diesen laufen wir entlang, schlotternd vor Kälte, wir allerdings tragen dicke Wintermäntel.
Hat noch in Auschwitz I die Enge bedrückt, ist es jetzt diese Weite des Lagers, diese Dimension.
Lange halten wir es hier nicht aus.
Wir fahren nach Hause.

Später am Abend stehe ich auf dem Balkon, es ist kalt, aber ich friere nicht, ich rauche und höre Musik mit meinem Mp3-Player: „Be Yourself“ von Audioslave. Da überkommt es mich, ich kann nichts dagegen tun, ich will es auch nicht.
Ich fange an zu weinen.
Ich weine lange.
Nicht nur wegen Auschwitz.

Kommentare

Letztes Jahr hab ich die gleichen Gedanken und Gefühle gehabt, als ich dort war.
Jeder Schritt, den du gehst, ist ein Schritt in die unendliche Leere….