Die letzten Tage waren vor allem der Vorratsdatenspeicherung geschuldet und haben die Blogosphäre hauptsächlich beschäftigt. Sollte dieser Artikel doch eigentlich nur die wichtigsten Links zu diesem Thema bündeln, habe ich mich doch entschlossen, einen Fließtext zu schreiben, um euch einen Einblick in die Problematik zu geben. Es geht um das Vorratsdatenspeichergesetz, das am Freitag dem 9. November im Bundestag verabschiedet wurde. Abgehörte Telefon-, Handyanrufe und Internetdaten dürfen ab dem 1. Januar 2008 für sechs Monate gespeichert werden. Zudem ist das Zeugnisverweigerungsrecht von Anwälten, Journalisten, Ärzten und Therapeuten massiv eingeschränkt worden. Alles unter dem Stichwort der Terrorbekämpfung. Ich will mich weitesgehend mit meiner Meinung zurückhalten, denn sonst werde ich sicher ausfallend. Ich lasse andere und die Fakten für mich sprechen:

Den Anfang lasse ich den Gastbeitrag auf wirres machen, der genau meiner zynischen Stimmung entspricht. „Demokratie ist langweilig“ zeigt das Wahlverhalten der Abgeordneten auf, denen wir das Vertrauen ausgesprochen haben, wichtige Entscheidungen im Einklang mit ihrem Gewissen zu beantworten. Scheinbar war das keine wichtige Entscheidung in den Augen einiger unserer Volksvertreter. Dass ich da nicht der selben Meinung bin, soll dieser Artikel zeigen und deshalb verweise ich zur besten Zusammenfassung und Quellensammlung zum Thema: „Vorratsdatenspeicherung im Bundestag beschlossen„.

Sicherlich kann und wird der ein oder andere einwenden, dass ein Aufschrei der Privatsphäre schon häufig erklungen ist und so schlimm war es dann doch nie. Man erinnere sich an die Volkszählung 1987 und den großen Radau, der darum gemacht wurde. Doch Privatsphäre ist eines der wichtigsten Güter, die wir haben, und deshalb rufe ich lieber einmal zu laut, als diese einmal zu viel beschädigt zu wissen. Was mir ganz übel aufstößt, ist die Überheblichkeit der großen Koalition bei diesem Gesetzesvorhaben. Wenn ich folgenden Satz höre, wird mir richtig schlecht:

Wir hatten den „größten Feldherrn aller Zeiten“, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten. Wolfgang Schäuble (Quelle heise)

Dass unser Innenminister von der Notwendigkeit dieses Gesetzes überzeugt ist, spricht nicht für ihn. Die gegenteilige Meinung aber zu diskeditieren und mit dem Vorhaben Hitlers zu vergleichen, spricht nicht für die demokratische Grundhaltung unseres Ministers und ist einfach unterste Schublade. Der Innenminister muss für Ordnung und Sicherheit im Land sorgen. Das muss er, weil er vom Staat dafür beauftragt wird. Den Staat leisten wir Bürger uns, weil wir unsere Grundrechte von ihm beschützt wissen möchten. Der Innenminister ist also gerade die Instanz, die die Grundrechte, die Verfassung verteidigen soll. Aber sobald jemand genau diese Grundrechte in Anspruch nimmt und gegen ein Gesetz klagt, dann ist ihm das anscheinend nicht recht. Für solche Äußerungen sind Politiker früherer Tage vom wütenden Mob … ihr wisst schon. Gut das es die Grundrechte gibt. Und deshalb selbst der Innenminister Verfassungsklagen nicht verhindern, sondern nur über sie lästern kann. Unhaltbar der Mann. Aber er ist nicht alleine. Das ist das Traurige. Nicht Schäuble ist das Problem, sondern die fehlende Gegenöffentlichkeit. Denn die SPD steckt in dem selben Meinungssumpf, wie die Justizministerin Zypries eindrucksvoll unter Beweis stellt:

Frage: Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Verständnis einer modernen Demokratie?
Zypries: Doch natürlich. Aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heisst ja nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert. Und das hat sich auch als Abwehrrecht gegen den Staat positioniert. (Quelle Nerdcore)

Ich bin leider kein Jurist. Vielleicht kann das mal jemand etwas genauer recherchieren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil 1983 etwas Gegenteiliges entschieden und ich bin mir sicher, dass die Zypries dieses Urteil auch kennt:

Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. (Quelle DSB)

Da fragt man sich schon langsam, wie weit es mit der Verfassungstreue unserer Regierung steht. Aber vielleicht muss man sich das nicht fragen, denn zu pessimistisch sollte man trotz einer abstrusen Machtkonstellation heutiger Tage nicht werden, denn ab sofort gilt wohl:

Das Fernmeldegeheimnis wird von den Gerichten wieder hergestellt werden. Dagegen ist die Wählbarkeit von SPD, CDU und CSU für die Generation Internet endgültig verloren gegangen. (Quelle Netzpolitik)

Es geht in der Politik zwar nicht nur um Sicherheit und Freiheit. Aber wie offensichtlich muss man sich eigentlich noch verarschen lassen? Ich habe wirklich gedacht, dass Schröder und Kohl die Krönung dessen seien, was mich zum Nichtwähler machen könnte. Aber diese große Koalition hat da doch noch einiges mehr zu bieten. Ich werde jetzt nicht mit einem Rundumschlag beginnen, denn diese eine Geschichte reicht vollkommen aus. Innenminister und Justizministerin verbreiten so viele Unwahrheiten und Schreckensmeldungen bis endlich eine Mehrheit auf ihre Politik anschlägt. Das kennen wir aus der Geschichte, nicht nur der deutschen. Es gibt nur ein einziges passendes Wort für solch eine Art der Volksbeeinflussung: Demagogie. Wie diese funktioniert und welch unglaubliche Parallelen zu den Äußerungen deutscher Politiker in den letzten Monaten gegeben sind (ich erinnere an die angebliche Gefahr schmutziger Bomben), findet sich in einem Artikel von Spiegel Online:

Die Terror-Management-Psychologen sehen hier ein bedrohliches Potenzial. Denn die terroristischen Attacken in den USA kommen ihrer Meinung nach einer gigantischen Induktion von Todesgewissheit gleich – mit fatalen Folgen für das politische Geschehen […] Die Zustimmung für George W. Bush und seine Antiterror-Politik wuchs unter dem Einfluss existenzieller Sorgen rasant. Auf einer fünfstufigen Skala erhielt der amtierende Präsident der USA bei „todesgewissen“ Studierenden passable Werte jenseits der 3,5. Fehlte der Wahlhelfer Sterblichkeit, beurteilte man Bush viel kritischer, und er erhielt im Schnitt eine magere 2,2 an Zustimmung. (Quelle Spon)

Ich habe dem nichts mehr entgegen zu setzen und wenn ich dann auch noch von der Praxis in den sogenannten „Fachausschüssen“ des Bundestags erfahre, frage ich mich, wieviel ist unsere Demokratie noch wert? Es geht nur noch um Geld, Aufschwung und Konjunktur, Terror, Sicherheit und Auslandseinsätze zur Wahrung der Demokratie. Wahrt diese ersteinmal zu Hause, liebe Abgeordnete.

Andererseits habe ich unter dem Druck der Partei und des Koalitionsvertrages schon mehrmals für Gesetzesvorlagen gestimmt, die ich persönlich ablehne. […] Es ist so, dass über eine Gesetzesvorlage zum ersten Mal im Ausschuss abgestimmt wird, und in der SPD-Fraktion wurde entschieden, dass Gesetzesvorlagen in den Ausschüssen grundsätzlich nicht scheitern dürfen. In so einem Fall müssen wir uns fügen, obwohl wir SPD-Leute im Umweltausschuss die Reform gern abgelehnt hätten. Die Gewissensentscheidung, die jedem Abgeordneten die freie Wahl lässt, gilt, wenn überhaupt, nur für das Plenum, nicht für den Ausschuss. Was sehr hart ist, sitzen in den Ausschüssen doch die Fachpolitiker, die am besten Bescheid wissen. Die müssen dann auf Order der Fraktion einer Vorlage zustimmen, die sie eigentlich ablehnen. (Quelle Süddeutsche)

Alle Hoffnung liegt jetzt auf den Gerichten, denn zum Glück haben kluge Menschen unsere Demokratie nicht allein auf die mögliche Verfassungstreue der Regierung und der gewählten Abgeordneten gebaut, sondern eine unabhängige höchste Instanz installiert. Das Verfassungsgericht wird ganz sicher dieses Vorratsdatenspeicherungsgesetz in Augenschein nehmen. Es wird die Bedeutung von Privat- und Intimsphäre mit dem Sicherheitsbedürfnis abzuwägen haben. Gegen diesen Gesetzesentwurf kann man jetzt gerade nur eines tun: Verfassungsklage mitzeichnen!

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