Da ich gerade wieder einmal ein Streitgespräch mit meinem Mitbewohner über die Differenz zwischen der Religion bzw. Spiritualität und der Wissenschaft bzw. der Philosophie hatte und dieser Streit ja ein ein immer währender ist, will ich gerne ein paar Gedanken dazu aufschreiben. Denn kommt es zu diesem Thema, bin ich meist auf der Seite der Philosophie verortet und muss mich dann sowohl der Religion, der Spiritualität, als auch der Wissenschaft erwehren. Allerdings nur, so diese drei Perspektiven auf bestimmte Weise vorgetragen werden, denn meine Sicht darauf schließt in gewisser Weise alle vier Perspektiven ein. Dafür sind aber einige Vorannahmen wichtig.
Ich trenne die Institution Religion von deren spiritueller Erfahrung. Die Institutionen sind mir herzlich egal und werden argumentativ behandelt wie jede andere Institution auch, je nach dem in welche Diskurse sie sich einmischen. Will bspw. die katholische Kirche Politik betreiben, kann sie sich ihre spirituelle Seite sonst wohin schmieren, dann werden die Argumente geprüft, wie auch die Argumente aller Parteien zu einem politischen Thema geprüft werden. Da gibt es kein „benefit of doubt“. Ebenso verhält es sich mit der Wissenschaft. Auch Wissenschaftler meinen bisweilen Politik betreiben zu müssen. Auch dort sollte man dann nicht eine Autorität vermuten, sondern die Vorschläge ob ihrer politischen Relevanz prüfen. Wissenschaft, zumal deskriptive Naturwissenschaft, muss so einiges an argumentativen Aufwand betreiben, um normative Aussagen tätigen zu können. Hier wird sich sehr häufig über die Moorsche Formel hinweg gesetzt, die besagt, dass aus Sein kein Sollen folgt. Wird dies dennoch behauptet, dann stellt diese Behauptung einen Kategorienfehler da. Ebenso lehne ich jegliche Form des Szientismus ab. Wissenschaft muss sich immer als in der Lebenswelt stehend betrachten und darf nicht gegen diese im vollen Sinne gerichtet sein. Damit meine ich nicht die krude Sprache mit der Wissenschaftler, und als solcher betrachte ich mich durchaus auch, daherkommen, sondern die Gläubigkeit an den Status Quo. Wissenschaft arbeitet mit Hypothesen und diese Stellen sich eben nicht immer sofort als falsch heraus. Was heute wissenschaftlicher Consens ist, kann morgen schon überholt sein. Dabei bin ich mir bewusst, dass nach dem von Kuhn aufgestellten Ablauf der Paradigmenwechsel nie alles über den Haufen geworfen wird und sich als falsch herausstellt. Dennoch sollte man sehr vorsichtig sein aufgrund von deskriptiver Forschung normative Forderungen aufzustellen. Die Welt ist immer noch ungemein komplex, auch wenn Hubble den Weltraum überwacht, der Gencode immer weiter entschlüsselt wird und alternative Energie zumindest in Teilen nicht mehr nur Utopie darstellt.
Zumeist werde ich dennoch auf die Szientistische Position zurückgedrängt, nur weil ich dem Spiritualismus und der Religion nicht den Raum lasse, den diese gerne hätten. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert, auch nicht für Gläubige, und deshalb werden normative Ansprüche eben geprüft. Dabei kommt es immer wieder zu dem einen Problem: dass ich eben nicht an die Autorität von der Bibel, dem Lehrer oder sonst was und -wem glaube, ohne diesen Glauben aber die Argumentation hinten rüber kippt. Ein Zirkel. Ohne die zehn Gebote und die Bergpredigt kein Christentum und kein christlicher Gott. Ohne Reinkarnation keine Forderung der fernöstlichen Religionen, ohne Mohammed kein Islam.
Nun ist es aber die Perspektive des Philosophen eben nicht den Autoritätenbeweis zuzulassen, selbst wenn meinetwegen viele „Weisheiten“ mit philosophischen Erkenntnissen übereinstimmen. Meist soll ich mir nämlich damit dann auch all das andere Zeug mit einkaufen. Aber die Geltung kann nicht durch sich selbst geltend gemacht werden. Deshalb muss man ja auch glauben. Da man damit nicht durchkommt, wird meist versucht mich selbst in die Glaubensecke zu stellen, eben Glauben an die Wissenschaft. Das ist prinzipiell gar keine schlechte Argumentation, hat aber einen Haken.
Der Haken an der Behauptung ist die Erfahrung. Gewisse deskriptiv eingeholte Wissensbestände sind erfahrbar durch jeden. Das ist die Grundlage eines Experiments. Jeder sollte zu jeder Zeit und an jedem Ort auch zu diesem oder jenem Ausgang kommen können. Zugegebener Maßen ist dies bei neueren Forschungen im Nanosektor oder in der Genforschung nur bedingt möglich. Aber die Sache mit dem Apfel und der Schwerkraft ist da schon einfacher. Daran muss ich nur zu sehr geringen Stücken glauben. Ich muss nur glauben, denn beweisen lässt sich das nicht, dass morgen die Welt genauso ist, wie heute und die Naturgesetze nicht einfach so sich ändern. Das wars. War schon immer so, ist also nicht notwendig anzunehmen, dass es anders sein wird. Mein ganzes Leben haben sie gestimmt und auch das Leben aller Menschen lang haben sie gestimmt.
Mit Ausnahme der Wunder, wird dann häufig eingeworfen. Und das ist gut, weil sich daran der Unterschied deutlich machen lässt. Bei einem Wunder greift Gott oder wer weiß was in die Naturgesetzlichkeit ein und lässt etwas passieren. Sozusagen als performativer Gottesbeweis. Praktisch, einfach, gut. Der Unterschied ist nur die Wiederholbarkeit. Diese Wunder passieren meist irgendwelchen Heiligen. Die dann davon erzählen und entweder sofort verehrt werden oder aber nach ihrem Tod. Soweit so gut. Schön für die Menschen mit solchen Erfahrungen. Aber es gibt keinen Grund für mich, dass in mein Weltbild einzubauen. Denn mir ist diese Erfahrung erst möglich, wird mir gesagt, wenn ich schon glaube und das sogar ne ganze Weile. Wenn mir jemand erzählt, ihm sei ein Apfel auf den Kopf gefallen, dann ist das für mich erfahrbar. Wenn mir jemand erzählt, der Apfel hätte als Zeichen Gottes angefangen zu bluten, dann kann ich das nicht erfahren, denn bisher hat keiner meiner Madonnen, Äpfel oder Kreuze angefangen zu bluten. Das passiert immer nur anderen. Also was habe ich damit zu tun. Warten. Vielleicht kommt da ja noch was. Aber es akut in meine Überlegungen einbeziehen muss ich es nicht. Kann ich, muss ich aber nicht. Das mit dem Apfel nicht einzubeziehen wird sich sehr schnell als Lücke herausstellen, die dich sicher auch keine Wundererfahrungen mehr erfahren lässt.
Man glaubt bei beidem. Aber nicht auf dieselbe Art und Weise. Denn den Glauben, dass Gott oder sonst was Metaphysisches morgen noch da ist, muss der Gläubige ja auch aufbringen, zum Glauben daran, dass die Naturgesetze auch morgen noch gelten. Zudem ist die Erfahrbarkeit eine andere.
Ich will gar nicht abstreiten, dass Menschen Erfahrungen machen, die sie nicht erklären können. Sicher ist ja, dass keine unserer Erfahrungen vollumfassend erklärbar sind, also sprachlich einholbar. Dafür gibt es das Beispiel des Unfalls und der Zeugenbefragung. Jeder wird eine andere Versiond es Unfalls zum besten geben, obwohl alle fast genau dasselbe gesehen, gehört und gerochen haben. Das lässt Lücken. In der Philosophie werden diese Lücken sogar noch entschieden größer, auch wenn sie mit noch so großer Anstrengung zu stopfen versucht werden. In diesen Lücken ist man gefordert. Man muss kreativ mit seinem Leben umgehen und handlungsfähig sein, auch wenn selbst die Philosophie keine vollumfassende Antwort auf die Frage was wir tun sollen, geben kann. Diese kreativen Lücken mögen mit Spirituellem und Religiösen zu füllen sein. Warum nicht.
Aber, und das ist mir wichtig. Diese Lücken sollten nicht dazu dienen, immer breiter zu werden und so tiefe Stollen unter unser Verständnis zu graben. Wenn auf einmal dann von spirituellen Tatsachen oder Fakten gesprochen wird, wenn normative Sätze fallen, die uns sonst keine Probleme bereiten, wenn Politik gemacht werden soll und anderen vorgeschrieben wird, was richtig ist, dann werden die Lücken unserer Sprache, Logik und unseres Verstandes missbraucht. Kant hat seine drei Kritiken geschrieben um gerade die Grenzen des Beweisbaren auszuloten. Nicht um alles andere als nicht existent zu verdammen, sondern um das Sprachspiel klar zu machen. Wenn man über Religion redet, den Sinn des Lebens oder über Meditation, dann ist das nicht unbedingt sinnlose Rede, aber es ist auch nicht sinnvolle Rede, nur weil diese Rede viele überzeugt.
Sinnlos ist es nicht, weil der Austausch auch über das Unbeschreibbare Halt, Sinn und Konsistenz fördern kann. Aber es darf nicht soweit gegangen werden, auf einmal diese Lücke dann selbst als Wahrheit oder sonst was zu begreifen. Denn dann verlässt man die Lücken wieder und kehrt zurück in das Sprachliche und dort muss dies auch wieder sprachlich geprüft werden.Hier kann die Lücke nicht selbst als Rechtfertigung gelten, denn diese ist gerade das Sprachspiel in dem die Rechtfertigung nicht benötigt wird. Es ist ein Austausch. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.
Musste ich Mal loswerden.
Ich bin mir sicher, dass einige meiner Aussagen erläuterungsbedürftig sind und stehe gerne in den Kommentaren Rede und Antwort. Hätte ich alle Überlegungen ausgeführt, wäre es aber kein Blogbeitrag, sondern ein Buch geworden. Ein paar der weiterführenden Links können auch beim Verständnis helfen, auch wenn sie teilweise zur Wikipedia führen.