Seit Jahren wird von Seiten der CDU/ CSU eine Debatte beheizt, die die Gesellschaft dazu anstiftet, sich mit deutschen Werten auseinander zu setzen. Deutsch-sein soll kein Makel mehr anhängen und es müsse eine neue deutsche Identität geschaffen werden. In der Streitfrage der Integration wird von einer deutsch-christlichen Tradition gesprochen, die es gilt zu beschützen, zu hüten, zu erhalten. Eine deutsche Leitkultur versucht die Union schon seit einiger Zeit zu erschaffen, zu erheben wie Phönix aus der Asche.

Dieses Deutsch-sein, das der CDU wohl zugrunde liegt, entlädt sich nicht nur in Parolen am rechten Rand, wie die sehr umstrittene Wahlkampfstrategie Jürgen Rüttgers „Kinder statt Inder“, sondern auch in Bekenntnissen zu einer multikulturellen Gesellschaft. Christian Wulff sagte auf der Klausurtagung in Wiesbaden: „Ohne Ausländer wäre unser Land ärmer. Wir brauchen sie.“ Man mag sich jetzt entspannt zurücklehnen und sich freudig darüber zeigen, dass die CDU eben nicht die NDP ist und selbst, zwischen den Forderungen nach Ausweisungen junger ausländischer Straftäter, Worte des Zusammenlebens ihren Platz finden. Wulff spricht aber dennoch von einem Wir, einem deutschen Wir und da muss man nachfragen:

Woher kommt denn dieser Patriotismus und ist er mit dem anderen Grundsatz der CDU/ CSU vereinbar ist: den christlichen Werten?

Im ersten Buch Moses wird die Menschheit nach der Sintflut auf der ganzen Erde verstreut. „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“. Die Söhne Noahs aber wollten einen Turm in Babel bauen, der bis in den Himmel reicht und das neue Zentrum der Menschheit werden sollte, dass sie wieder vereint. Doch daraufhin sprach Gott: „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.“

Sprachen und Nationen sind eine Strafe Gottes für die Gottvergessenheit und den Größenwahn der Menschen. Gott strafte die Menschen mit verschiedenen Sprachen und Nationen, doch die Menschen wiederum machen diese zur Grandlage erneutem Größenwahns.

Wie bitte kann ein Christ stolz auf sein Land sein, stolz auf seine Sprache? Wie passt Deutsch-sein zusammen mit der christlichen Basis der CDU/ CSU? Vor allem, warum bringt ihr deutsch und christlich immer wieder in einem Gedanken? Da hilft es auch nicht in schwierigeren Debatten auf westlich-christliche Werte auszuweichen oder den europäischen Geist zu mobilisieren. Die Frage bleibt:

Wie passen Patriotismus als Strafe Gottes und das Stolz-sein auf diese Strafe mit der christlichen Wurzel zusammen?

Diese Frage ist nicht nur an unsere deutschen Politiker zu stellen, ein sehr prominenter Vertreter der Weltdemokratie geht auch mit diesen widersprüchlichen Aussagen hausieren und gewinnt Wahlen bei einem noch größeren Publikum: George W. Bush. Der amerikanische Präsident ist bekennender Christ, manche unterstellen ihm sogar einen gewissen Hand zum fundamentalistischen Glauben, und auch ein ausgesprochener Patriot.

Wie kommt es, dass sich Millionen Menschen, egal wo auf der Welt so gerne durch Glauben und Patriotismus blenden lassen? Blenden davon, dass diese vielbeschworene Einheit nicht der einzige Widerspruch in der Politik christlicher Patrioten ist.

 

Kommentare

Der Christliche Gott ist kein strafender Gott. Jede Argumentation gegen das Christentum, die sich ausschließlich aufs Alte Testament bezieht, steht schon von vornherein auf tönernen Füßen.

Patriotismus lässt sich ganz sicher mit Nächstenliebe fundieren.

Entschuldige Jörg, aber du wischst hier ein theologisches Problem, das nicht im Artikel angelegt ist, aber gerne diskustiert werden kann, mit einer Behauptung vom Tisch, die du begründen musst. Genauso die Behauptung, Patriotismus lasse sich mit Nächstenliebe begründen. Wenn das sicher möglich ist, dann zeige mir bitte wie!

Ich denke, dass die christliche Religion im Wesentlichen eine Revision der jüdischen ist, in der vieles ja auch explizit gewendet und neu gedeutet wurde, was in der jüdischen Tradition Bestand hatte. Wer Elemente des Alten Testaments gegen heutige christliche Praxis ins Feld führen will, muss immer erst mal schauen, wie der jeweilige alttestamentarische Inhalt im Neuen Testament oder danach aufgefasst worden ist.

Die Nächstenliebe ist ja ein Element des Alten Testaments (3. Moses 19, 18) Dort heißt es: „Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; “ und weiter „Lass nicht zweierlei Art unter deinem Vieh sich paaren und besäe dein Feld nicht mit zweierlei Samen und lege kein Kleid an, das aus zweierlei Faden gewebt ist.“ Nimmt man letzteres als Bild, welches die erste Forderung ergänzt, dann heißt Nächstenliebe vor allem Abgrenzung gegen Fremde – Patriotismus.

Das Christentum hat der Nächstenliebe dann die Feindesliebe hinzugefügt in der großen Umdeutungsaktion der Bergpredigt: (Mt 5,44) „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“

Auch wenn die Autoren des Neuen Testaments hier den Alten was unterschieben (nirgends im Alten Testament wird geboten, die Feinde zu hassen) um es dann abzulehnen, wird auf diese Weise dem Patriotismus hier ein menschliches Gesicht gegeben, ohne dass die Trennung zwischen uns (mir und den Nächsten) und denen (den Feinden, Verfolgern,…) aufgegeben wird.

Argumentieren und Gründe für Meinungen anführen sind dir wohl fremd Marco, oder wie soll ich mir sonst deinen hier hingerotzten Beitrag erklären?

Jörg, deine Erklärung für Patriotismus aus der Nächstenliebe ist wirklich interessant und bedenkenswert. Doch bewegst du dich auch im alten Testament und das eben zeitlich nach dem Fall Babel. Die Völker sind erst durch Gott entstanden und das dies eine Strafe ist, geht einwandfrei aus dem 1. Buch Moses hervor. Doch das zu zeigen war nicht meine Absicht, denn selbst, wenn es nur Gottes Liebe gewesen sein mag, ist es ein weiterer Schritt weg vom Paradies, das durch den Baum der Erkenntnis symbolisiert ist. Erkenntnis und Verständnis sind aber durch die Sprachen und Nationen erschwert, also verschlechtert worden. Dass Gott zu den Israeliten spricht hat wiederum ganz spezielle Gründe, aber die Vorgeschichte nicht gelten zu lassen um dann die Worte Gottes an das durch ihn geschaffene Volk Israel dafür zu gebrauchen, die Nationen positiv zu belegen, halte ich für falsch, da zunächst das höchste Ziel des Glaubens – Rückkehr ins Paradies und eins werden mit Gott – den Nationen zuwiderläuft und erst dann die praktischen Anweisungen, um den Pfad Richtung Paradies wieder aufnehmen zu können, von Gott kommen. Auch noch interessant ist, dass im 3. Buch Moses, kurz nach deinem Zitat, in Vers 33 folgendes steht, dass meiner Meinung nach auch auf die Auflösung des Nationengedanken abzielt:

Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott.

Wenn wir aber das alte Testament zur Seite legen und uns wie du anführst auf die Bergpredigt konzentrieren, dann erscheint doch ein ähnliches Licht. Jesus predigt, Feinde zu lieben, wie deinen Nächsten. Also keinen Unterschied mehr zu machen, zwischen deinem Nächsten und einem Fremden, gar Feind. Damit steht er in der Tradition des vorher Zitierten, eben keinen Unterschied zu machen zwischen dem, der dir räumlich nahe steht und dem, der es nicht tut.

Aber wie gesagt, der Ansatz ist sehr interessant und ein so großer Bibelspezialist bin ich nicht, um das ganz von der Hand zu weisen. Dennoch weisen meiner Meinung nach zu viele Stellen eben auf die Auflösung der Nationen als Weg ins Paradies hin, so auch die 1000 Jahre Herrschaft Jesu, als Übergangszeit. Alle Menschen gleich unter seiner liebenden Regierung. Eben keine Nationen und Nationalitäten mehr.

Ich denke, man sollte in diesem Zusammenhang zwei Fragestellungen unterscheiden: Ist nationalstaatlicher Patriotismus und die christliche Lehre von der Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen vereinbar? Und, nimmt man einen Widerspruch dieser zwei geistigen Strömungen an, was würde das für die CDU/CSU und die gesamte christlich-konservative politische Bewegung in den westlichen Demokratien bedeuten?

Von einer möglichen theoretischen Unvereinbarkeit konsequenter christlicher Denkweise und idealistischer Überhöhung nationalstaatlicher Trennung hat mich der Artikel von Sören Onez und mein dem Lesen angeschlossenes Nachdenken überzeugt. Zwar fand ich den Einwand der Nächstenliebe von Jörg Friedrich auch bedenkenswert, also eine Trennung ohne Andersbehandlung gestützt auf die Wortwahl der Bergpredigt, allerdings erscheint mir Patriotismus in der Regel eben gerade auf den Vorteil, die Besserbehandlung einer bestimmten Gruppe von Menschen abzuzielen. Im Gegensatz dazu soll es im Himmelreich keine Grenzen geben.

Dennoch erschließen sich mir durch die Erkenntnis dieses theoretischen Widerspruchs keine allzu bedeutenden Konsequenzen für die Parteien, da sie weniger auf abstrakten Formeln basieren, als auf ihren Mitgliedern und Wählern, ihrer Klientel. Diese Klientel hat in der Geschichte der Bundesrepublik trotz möglicher Diskrepanzen zwischen zwei bestimmenden Strömungen, der christlichen und der konservativ patriotischen, relativ unbeeindruckt Bestand gehabt.

Die CDU ist nach dem zweiten Weltkrieg aus der Zentrumspartei hervorgegangen. Das Zentrum bediente in der Weimarer Republik die christlich motivierten Wähler. Daneben wählte ein großer Teil der Bevölkerung nationalistische Parteien, wie die DVP und DNVP, denen allerdings nach und nach durch die NSDAP der Rang abgelaufen wurde. Zwar verschwanden nach dem zweiten Weltkrieg und mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft die nationale Gesinnung, trotz Tiefpunkt in Sachen Patriotismus, nicht, die Parteien allerdings hatten ihren Einfluss größtenteils verloren. Außer die rechtskonservative DP mit 17 Sitzen und Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl 1949 schaffte es keine andere Partei dieser politischen Richtung Bedeutung zu erlangen und auch die DP löste sich wenige Jahre später in der CDU auf.

Die CDU in der Bundesrepublik ist das Sammelbecken konservativer, christlicher und auch dem nationalen Gedanken Verhafteter. Und im Widerstreit gegen die gott- und wertelose moderne Zeit konnten diese Gruppen durchaus gemeinsame Interessen entdecken und zu einer mehr oder minder homogenen Einheit verschmelzen. Ähnliche Ziele, ähnliche Gegner.

Die Vertretung dieser ursprünglich getrennten Wählerschaften durch eine Partei erscheint, entgegen der Bedenken des strikten Theoretikers, möglich. Bedenklich werden solche Verflechtungen dann, wenn eine der beiden Gruppierungen durch die Andere zu mehr Einfluss gelangen sollte, als für ihre Größe angemessen und für ein multipolares System sinnvoll. Als warnendes historisches Bespiel mag die Versöhnung nationaler, liberaler und reaktionärer Elemente durch die Reichsgründung von 1872 dienen.

Götz Widmann hat eigentlich mit „Jesus und Stoiber“ schon alles zu dem Thema gesagt.

Ich sehe eher das Problem darin, dass durch die Kategorisierung in Nationalitäten (ich deutsch, du nix) Vorurteile und eine De-Individuation aufgebaut werden, die einen der Leitgedanken des christlichen Glaubens untergraben:

Letzten Endes sind wir alle Menschen – das ist die einzige Kategorie in der wir denken (sprechen und handeln) sollten

Ich halte es für undurchführbar, nur in der Kategorie „Mensch“ zu denken. Dazu sind in den Menschen zu viele widersprüchliche Entwicklungsmöglichkeiten angelegt, die durch die Sozialisation unterschiedlich ausgeprägt werden.

Das beginnt schon mit der Verschiedenheit der Sprachen, die ja auch im Zentrum des Artikels steht. Durch die Muttersprache sind uns die verschiedenen Quellen der Wert-Bildung ganz unterschiedlich erschlossen – Normative Präferenzen müssen sich dadurch ganz verschieden entwickeln. Wenn man das explizit anerkennt, ist ein Patriotismus möglich, der die eigenen Werte ganz natürlich bevorzugt, ohne andere Menschen für ihre Wert-Systeme herabzusetzen.

Gerade das Christliche Verständnis von Nächsten- und Feindesliebe ist natürlich mit einem solchen Patriotismus vereinbar.

Der Beitrag hat mich sehr angesprochen, auch eure Kommentare. Aber das ist kein small-talk Thema für mich, indem ich einfach mal irgendwas dazu kommentiere. Mir fehlte leider die Zeit dazu, schade.

Jörg Friedrich schrieb:

„Durch die Muttersprache sind uns die verschiedenen Quellen der Wert-Bildung ganz unterschiedlich erschlossen – Normative Präferenzen müssen sich dadurch ganz verschieden entwickeln. Wenn man das explizit anerkennt, ist ein Patriotismus möglich, der die eigenen Werte ganz natürlich bevorzugt, ohne andere Menschen für ihre Wert-Systeme herabzusetzen.“

Dieser Gedanke führt uns zu der Frage, was man unter Patriotismus versteht. „Als Patriotismus (von lat. patria, Heimat, Vaterland) wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation bezeichnet“ (Wikipedia). Bezüglich der Entstehung normativer Präferenzen würde ich Jörg Friedrich Recht geben. Aber kann jemand, der auf rein rationaler Ebene diese Mechanismen versteht, noch von einer „emotionalen“ Verbundenheit sprechen. Ich finde das widerspricht sich.

Ich möchte einmal folgende Anregung in den Raum werfen: Der einzig angemessene Patriotismus ist der, welcher sich auf die Errungenschaften einer Nation für die gesamte Menschenheit stützt. Aber ist das noch Patriotismus?

Jöörg-Friedrich findet es also undurchführbar, nur in der Kategorie Mensch zu denken… Was haben die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten und Sozialisationen damit zu tun? Das kann doch alles existieren, stellt man auch nicht in Frage – und doch sind das alles Menschen.
Eigentlich müßte der Begriff Mensch selbstverständlich sein, und das Denken und Begreifen darin auch. Warum das so schwer ist, entzieht sich zum Beispiel mir völlig. Denn, selbst wenn der andere da, der mir plötzlich irgendwo gegenübersteht, völlig anders ist – er ist ein Mensch. Mag sein, dass ich gar nichts verstehe – nicht wie er ausschaut von der Kleidung her, nicht seine Frisur, nicht seine Sprache, nicht seine Umgangsformen – und doch, er ist ein Mensch.

Umgekehrt: Wir fahren irgendwohin ins Ausland – oder noch krasser: Uns verschlägt es durch einen völlig dummen Zufall irgendwohin wo wir noch nie waren. Seltsame Gestalten, die zwar auf unserem Planeten immer weniger werden, weil sich fast alle angleichen, umringen uns plötzlich. Und sie würden nun annehmen, dass wir keine Menschen sind… Beklemmender Gedanke, oder? Und, gerade wir würden uns doch dagegen wehren, und unser Menschsein heftigst zu vertreten suchen, oder?
Aber, wir sind rasch dabei, wenn es darum geht, manchmal anderen dieses Recht abzuerkennen.

Menschsein, das müßte eigentlich die einzige Kategorie sein, die zählt, eben weil es keine Kategorie ist, sondern die einzige Tatsache bezeichnet, die auf uns alle zutrifft. Menschlichkeit, das ist wiederum ein sehr weiter Begriff zu dem etwas mehr gehört, als nur einfach ein menschliches Wesen zu sein, das auf dieser Erde herumkraucht. Globalisierung mit dem Touch des Guten könnte nur so funktionieren, aber darauf hat ja sowieso keiner Lust, schon gar nicht die Reichen, und die Konzerne.