{"id":979,"date":"2010-01-03T02:14:37","date_gmt":"2010-01-03T00:14:37","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=977"},"modified":"2010-01-03T02:14:37","modified_gmt":"2010-01-03T00:14:37","slug":"philosophie-und-religion","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/philosophie-und-religion\/","title":{"rendered":"Philosophie und Religion"},"content":{"rendered":"

\"halbgott\"Da ich gerade wieder einmal ein Streitgespr\u00e4ch mit meinem Mitbewohner \u00fcber die Differenz zwischen der Religion bzw. Spiritualit\u00e4t und der Wissenschaft bzw. der Philosophie hatte und dieser Streit ja ein ein immer w\u00e4hrender ist, will ich gerne ein paar Gedanken dazu aufschreiben. Denn kommt es zu diesem Thema, bin ich meist auf der Seite der Philosophie verortet und muss mich dann sowohl der Religion, der Spiritualit\u00e4t, als auch der Wissenschaft erwehren. Allerdings nur, so diese drei Perspektiven auf bestimmte Weise vorgetragen werden, denn meine Sicht darauf schlie\u00dft in gewisser Weise alle vier Perspektiven ein. Daf\u00fcr sind aber einige Vorannahmen wichtig.<\/p>\n

Ich trenne die Institution Religion von deren spiritueller Erfahrung. Die Institutionen sind mir herzlich egal und werden argumentativ behandelt wie jede andere Institution auch, je nach dem in welche Diskurse sie sich einmischen. Will bspw. die katholische Kirche Politik betreiben, kann sie sich ihre spirituelle Seite sonst wohin schmieren, dann werden die Argumente gepr\u00fcft, wie auch die Argumente aller Parteien zu einem politischen Thema gepr\u00fcft werden. Da gibt es kein „benefit of doubt“. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit der Wissenschaft. Auch Wissenschaftler meinen bisweilen Politik betreiben zu m\u00fcssen. Auch dort sollte man dann nicht eine Autorit\u00e4t vermuten, sondern die Vorschl\u00e4ge ob ihrer politischen Relevanz pr\u00fcfen. Wissenschaft, zumal deskriptive Naturwissenschaft, muss so einiges an argumentativen Aufwand betreiben, um normative Aussagen t\u00e4tigen zu k\u00f6nnen. Hier wird sich sehr h\u00e4ufig \u00fcber die Moorsche Formel<\/a> hinweg gesetzt, die besagt, dass aus Sein kein Sollen folgt. Wird dies dennoch behauptet, dann stellt diese Behauptung einen Kategorienfehler da. Ebenso lehne ich jegliche Form des Szientismus<\/a> ab. Wissenschaft muss sich immer als in der Lebenswelt stehend betrachten und darf nicht gegen diese im vollen Sinne gerichtet sein. Damit meine ich nicht die krude Sprache mit der Wissenschaftler, und als solcher betrachte ich mich durchaus auch, daherkommen, sondern die Gl\u00e4ubigkeit an den Status Quo. Wissenschaft arbeitet mit Hypothesen und diese Stellen sich eben nicht immer sofort als falsch heraus. Was heute wissenschaftlicher Consens ist, kann morgen schon \u00fcberholt sein. Dabei bin ich mir bewusst, dass nach dem von Kuhn aufgestellten Ablauf der Paradigmenwechsel<\/a> nie alles \u00fcber den Haufen geworfen wird und sich als falsch herausstellt. Dennoch sollte man sehr vorsichtig sein aufgrund von deskriptiver Forschung normative Forderungen aufzustellen. Die Welt ist immer noch ungemein komplex, auch wenn Hubble den Weltraum \u00fcberwacht, der Gencode immer weiter entschl\u00fcsselt wird und alternative Energie zumindest in Teilen nicht mehr nur Utopie darstellt.<\/p>\n

Zumeist werde ich dennoch auf die Szientistische Position zur\u00fcckgedr\u00e4ngt, nur weil ich dem Spiritualismus und der Religion nicht den Raum lasse, den diese gerne h\u00e4tten. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert, auch nicht f\u00fcr Gl\u00e4ubige, und deshalb werden normative Anspr\u00fcche eben gepr\u00fcft. Dabei kommt es immer wieder zu dem einen Problem: dass ich eben nicht an die Autorit\u00e4t von der Bibel, dem Lehrer oder sonst was und -wem glaube, ohne diesen Glauben aber die Argumentation hinten r\u00fcber kippt. Ein Zirkel. Ohne die zehn Gebote und die Bergpredigt kein Christentum und kein christlicher Gott. Ohne Reinkarnation keine Forderung der fern\u00f6stlichen Religionen, ohne Mohammed kein Islam.<\/p>\n

Nun ist es aber die Perspektive des Philosophen eben nicht den Autorit\u00e4tenbeweis zuzulassen, selbst wenn meinetwegen viele „Weisheiten“ mit philosophischen Erkenntnissen \u00fcbereinstimmen. Meist soll ich mir n\u00e4mlich damit dann auch all das andere Zeug mit einkaufen. Aber die Geltung kann nicht durch sich selbst geltend gemacht werden. Deshalb muss man ja auch glauben. Da man damit nicht durchkommt, wird meist versucht mich selbst in die Glaubensecke zu stellen, eben Glauben an die Wissenschaft. Das ist prinzipiell gar keine schlechte Argumentation, hat aber einen Haken.<\/p>\n

Der Haken an der Behauptung ist die Erfahrung. Gewisse deskriptiv eingeholte Wissensbest\u00e4nde sind erfahrbar durch jeden. Das ist die Grundlage eines Experiments. Jeder sollte zu jeder Zeit und an jedem Ort auch zu diesem oder jenem Ausgang kommen k\u00f6nnen. Zugegebener Ma\u00dfen ist dies bei neueren Forschungen im Nanosektor oder in der Genforschung nur bedingt m\u00f6glich. Aber die Sache mit dem Apfel<\/a> und der Schwerkraft ist da schon einfacher. Daran muss ich nur zu sehr geringen St\u00fccken glauben. Ich muss nur glauben, denn beweisen l\u00e4sst sich das nicht, dass morgen die Welt genauso ist, wie heute und die Naturgesetze nicht einfach so sich \u00e4ndern. Das wars. War schon immer so, ist also nicht notwendig anzunehmen, dass es anders sein wird. Mein ganzes Leben haben sie gestimmt und auch das Leben aller Menschen lang haben sie gestimmt.<\/p>\n

Mit Ausnahme der Wunder, wird dann h\u00e4ufig eingeworfen. Und das ist gut, weil sich daran der Unterschied deutlich machen l\u00e4sst. Bei einem Wunder greift Gott oder wer wei\u00df was in die Naturgesetzlichkeit ein und l\u00e4sst etwas passieren. Sozusagen als performativer<\/a> Gottesbeweis. Praktisch, einfach, gut. Der Unterschied ist nur die Wiederholbarkeit. Diese Wunder passieren meist irgendwelchen Heiligen. Die dann davon erz\u00e4hlen und entweder sofort verehrt werden oder aber nach ihrem Tod. Soweit so gut. Sch\u00f6n f\u00fcr die Menschen mit solchen Erfahrungen. Aber es gibt keinen Grund f\u00fcr mich, dass in mein Weltbild einzubauen. Denn mir ist diese Erfahrung erst m\u00f6glich, wird mir gesagt, wenn ich schon glaube und das sogar ne ganze Weile. Wenn mir jemand erz\u00e4hlt, ihm sei ein Apfel auf den Kopf gefallen, dann ist das f\u00fcr mich erfahrbar. Wenn mir jemand erz\u00e4hlt, der Apfel h\u00e4tte als Zeichen Gottes angefangen zu bluten, dann kann ich das nicht erfahren, denn bisher hat keiner meiner Madonnen, \u00c4pfel oder Kreuze angefangen zu bluten. Das passiert immer nur anderen. Also was habe ich damit zu tun. Warten. Vielleicht kommt da ja noch was. Aber es akut in meine \u00dcberlegungen einbeziehen muss ich es nicht. Kann ich, muss ich aber nicht. Das mit dem Apfel nicht einzubeziehen wird sich sehr schnell als L\u00fccke herausstellen, die dich sicher auch keine Wundererfahrungen mehr erfahren l\u00e4sst.<\/p>\n

Man glaubt bei beidem. Aber nicht auf dieselbe Art und Weise. Denn den Glauben, dass Gott oder sonst was Metaphysisches morgen noch da ist, muss der Gl\u00e4ubige ja auch aufbringen, zum Glauben daran, dass die Naturgesetze auch morgen noch gelten. Zudem ist die Erfahrbarkeit eine andere.<\/p>\n

Ich will gar nicht abstreiten, dass Menschen Erfahrungen machen, die sie nicht erkl\u00e4ren k\u00f6nnen. Sicher ist ja, dass keine unserer Erfahrungen vollumfassend erkl\u00e4rbar sind, also sprachlich einholbar. Daf\u00fcr gibt es das Beispiel des Unfalls und der Zeugenbefragung. Jeder wird eine andere Versiond es Unfalls zum besten geben, obwohl alle fast genau dasselbe gesehen, geh\u00f6rt und gerochen haben. Das l\u00e4sst L\u00fccken. In der Philosophie werden diese L\u00fccken sogar noch entschieden gr\u00f6\u00dfer, auch wenn sie mit noch so gro\u00dfer Anstrengung zu stopfen versucht werden. In diesen L\u00fccken ist man gefordert. Man muss kreativ mit seinem Leben umgehen und handlungsf\u00e4hig sein, auch wenn selbst die Philosophie keine vollumfassende Antwort auf die Frage was wir tun sollen, geben kann. Diese kreativen L\u00fccken m\u00f6gen mit Spirituellem und Religi\u00f6sen zu f\u00fcllen sein. Warum nicht.<\/p>\n

Aber, und das ist mir wichtig. Diese L\u00fccken sollten nicht dazu dienen, immer breiter zu werden und so tiefe Stollen unter unser Verst\u00e4ndnis zu graben. Wenn auf einmal dann von spirituellen Tatsachen oder Fakten gesprochen wird, wenn normative S\u00e4tze fallen, die uns sonst keine Probleme bereiten, wenn Politik gemacht werden soll und anderen vorgeschrieben wird, was richtig ist, dann werden die L\u00fccken unserer Sprache, Logik und unseres Verstandes missbraucht. Kant hat seine drei Kritiken geschrieben um gerade die Grenzen des Beweisbaren auszuloten. Nicht um alles andere als nicht existent zu verdammen, sondern um das Sprachspiel<\/a> klar zu machen. Wenn man \u00fcber Religion redet, den Sinn des Lebens oder \u00fcber Meditation, dann ist das nicht unbedingt sinnlose Rede, aber es ist auch nicht sinnvolle Rede, nur weil diese Rede viele \u00fcberzeugt.<\/p>\n

Sinnlos ist es nicht, weil der Austausch auch \u00fcber das Unbeschreibbare Halt, Sinn und Konsistenz f\u00f6rdern kann. Aber es darf nicht soweit gegangen werden, auf einmal diese L\u00fccke dann selbst als Wahrheit oder sonst was zu begreifen. Denn dann verl\u00e4sst man die L\u00fccken wieder und kehrt zur\u00fcck in das Sprachliche und dort muss dies auch wieder sprachlich gepr\u00fcft werden.Hier kann die L\u00fccke nicht selbst als Rechtfertigung gelten, denn diese ist gerade das Sprachspiel in dem die Rechtfertigung nicht ben\u00f6tigt wird. Es ist ein Austausch. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.<\/p>\n

Musste ich Mal loswerden.<\/p>\n

Ich bin mir sicher, dass einige meiner Aussagen erl\u00e4uterungsbed\u00fcrftig sind und stehe gerne in den Kommentaren Rede und Antwort. H\u00e4tte ich alle \u00dcberlegungen ausgef\u00fchrt, w\u00e4re es aber kein Blogbeitrag, sondern ein Buch geworden. Ein paar der weiterf\u00fchrenden Links k\u00f6nnen auch beim Verst\u00e4ndnis helfen, auch wenn sie teilweise zur Wikipedia f\u00fchren.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Da ich gerade wieder einmal ein Streitgespr\u00e4ch mit meinem Mitbewohner \u00fcber die Differenz zwischen der Religion bzw. Spiritualit\u00e4t und der Wissenschaft bzw. der Philosophie hatte und dieser Streit ja ein ein immer w\u00e4hrender ist, will ich gerne ein paar Gedanken dazu aufschreiben. Denn kommt es zu diesem Thema, bin ich meist auf der Seite der […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[404,740,741,742,39,45,743,629,744],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/979"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=979"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/979\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=979"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=979"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=979"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}