{"id":715,"date":"2008-12-29T20:39:18","date_gmt":"2008-12-29T18:39:18","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=715"},"modified":"2008-12-29T20:39:18","modified_gmt":"2008-12-29T18:39:18","slug":"ein-tschechisches-bild","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/leben\/ein-tschechisches-bild\/","title":{"rendered":"Ein tschechisches Bild"},"content":{"rendered":"

Zehn vor elf in der Nacht. Es ist kalt, aber nicht zu kalt. Die Stra\u00dfenlaterne flackert und l\u00e4sst so die Schatten h\u00fcpfen. Ziellos hin und her gehend flutet der Bewegungsmelder den Hof mit Licht. N\u00e4chte m\u00fcssen dunkel sein, zwielichtig und grau. Licht st\u00f6rt da nur. Nachts ist das Leben so grau wie der Rauch, der sich schwer und trocken nach jedem Atemzug vor seinen Blick w\u00fchlt. Der Wind streicht leicht und eisig \u00fcber sein ausdrucksloses Gesicht. Ein kleiner Schauer rollt seinen Nacken hinunter. Er ist aber ganz woanders. In einem Film ohne Geschichte. In einer Realit\u00e4t ohne Tr\u00e4ume. In einem realen Traum. Das Windspiel klackert h\u00f6lzern und die Kinderschaukel knarrt. Seine eigene Kindheit frisst ihn auf, denkt er und bei\u00dft zur\u00fcck, zerst\u00f6rt und verbrennt. Zur\u00fcck bleibt nur das, was er will. Werde, der du bist.\u00a0 Das halbrenovierte, halb verfallene Nachbarshaus lenkt seinen Blick zur\u00fcck auf den Hof. Zwei Apfelb\u00e4ume, die kahl dem Winter strotzen und nur in der Erinnerung Schatten spenden im hei\u00dfen Sommer, an dem er so gerne hier Foucault gelesen und sich der Familie seiner Freundin gen\u00e4hert, mit den Kindern gespielt und sein Leben fern der Heimat neu begonnen hatte. Sein Leben gewonnen auf dem Altar seiner Ideale. Familie ist nichts, was f\u00fcr ihn eine Rolle spielt. Nur dem Film entnommene Rollen, die mit surrealen Vorstellung von Blut beginnen und stumpf verwehen, wenn der Alltag in das Kartenhaus der Tradition einzieht und nichts zur\u00fcckl\u00e4sst, was mehr ist, als ein dumpfes Pochen. Der schiefe Holzverschlag der dem Hof seinen Charme aufzwingt schubst seinen Blick auf die rechte Seite durch den nicht recht ins Bild passenden neuen Pavillon zur Stra\u00dfe hin. Vereist und fahl tr\u00e4gt sie zum Panorama kaum bei. F\u00fchrt nirgendwo und \u00fcberall hin. Ein Satz f\u00fcr Suchende. Aber wer sucht, der hat schon etwas gefunden. Heute Nacht ist nicht die Zeit f\u00fcr Aufbruch. Zeit f\u00fcr Einkehr. Zeit zum Tr\u00e4umen. Nicht vom Sommer, sondern von der Nacht, die er gerade so intensiv erlebt, wie sonst nur das Gl\u00fcck erfahren wird, dass sich langsam aber sicher dem Ende entgegen neigt. Ein Spieler, der nach dem gro\u00dfen Gewinn wieder auf Rot setzt, wei\u00df, dass er verloren hat, egal ob er gewinnt oder verliert. Er hat nichts mehr zu gewinnen, denn sein Traum ist bereits Vergangenheit und ohne Hoffnung geht alles nur weiter, irgendwie. Seine wei\u00dfe Jacke verliert sich in dem Bild sticht heraus und verdunkelt den roten Pullover, der den Rauch aufnimmt. Rauchen hilft beim alt werden, denn es liefert den Geschmack des Lebens. Dr\u00fcckend brennt es sich mit jedem Atemzug in die Lunge um in Rauch wieder ausgespien zu werden.\u00a0 Er zieht noch einmal kr\u00e4ftig an der starken tschechischen Zigarette und dr\u00fcckt sie danach aus. Schon halb in der T\u00fcr, dreht er sich noch ein Mal um und wei\u00df, dass dieses Bild nicht festzuhalten ist. Das Leben verschwindet, wenn er schlafen geht. Ein Hin\u00fcbergleiten in ein schwarzes Nichts, das mehr ist, als alles was sein kann. Mit dem Schlaf kommt das Vergessen. Die Nacht h\u00e4lt nichts fest genug, als dass der Morgen es nicht weg brennen k\u00f6nnte, mit seinem bitteren Geschmack von abgestandenem Instantkaffee. Morgens dreht sich alles wieder von neuem, die Karusselle ziehen erneut ihre Runden. Der Hof wird einsamer sein. Keine Schatten bewegen sich lautlos \u00fcber den schneebedeckten Boden. Die Sonne wird m\u00fchsam versuchen den Nebel zu verscheuchen und die Wolken zu durchbrechen. Es gibt viele Farben Grau, Nachts leuchten sie am hellsten.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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