{"id":681,"date":"2005-12-13T13:13:00","date_gmt":"2005-12-13T13:13:00","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=17"},"modified":"2005-12-13T13:13:00","modified_gmt":"2005-12-13T13:13:00","slug":"auschwitz","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/auschwitz\/","title":{"rendered":"Auschwitz"},"content":{"rendered":"
Ein kalter tr\u00fcber Morgen. Ostrava in eine wei\u00dfgraue Schneedecke geh\u00fcllt. Ich mache mich auf nach Auschwitz, etwa hundert Kilometer entfernt in Polen. Es schneit die ganze Zeit, im Auto mit mir, Samuel und seine ehemalige Religionslehrerin. Wir sprechen nicht viel, verschlafen und ungewiss was uns erwarten wird. Wir alle haben schon ein oder mehrere Konzentrationslager gesehen, aber nicht Auschwitz. Den Inbegriff des Holocaust, den Ort der ein Zeichen geworden ist, mehr als nur ein Ort des Schreckens.<\/p>\n
Wir kommen in Auschwitz an, es ist immer noch tr\u00fcb, aber nicht mehr so grau wie in Ostrava. Zuerst ein kleines Mittagessen, Suppe, nach polnischer Art und Kaffee. Besser jetzt etwas essen, wir sind uns einig, danach werden wir wohl nichts runter bekommen.<\/p>\n
Wir laufen, still und langsam, durch das Tor, dem Eingang zu Auschwitz I, \u201eArbeit macht Frei\u201c. Es ist alles so wie ich es von Bildern und Filmen kannte, nur das Gef\u00fchl war nicht das Selbe. Nicht zu definieren.<\/p>\n
Wir sind in einer der Blocks, er soll das Leben der Inhaftierten zeigen. Alles bekannt, die Bilder, die Informationen, die Umst\u00e4nde. Aber nicht das Gef\u00fchl der Distanz.
\nIm Mittelgang h\u00e4ngen Portr\u00e4ts der hier gestorbenen Frauen und M\u00e4nner. In mir kommt der Reiz kotzen zu m\u00fcssen, ich kann mich nicht dagegen wehren, aber wirklich \u00fcbergeben muss ich mich auch nicht. Aber die \u00dcbelkeit \u00fcbermannt mich, ich muss raus gehen.
\nWarum? Ich habe schon vorher Bilder der Menschen in Auschwitz gesehen, kannte die Zahlen der hier get\u00f6teten, habe Zeitzeugenberichte gelesen und geh\u00f6rt. Aber die Bilder, so viele nebeneinander sind bedr\u00fcckender, wenn man an dem Ort der Qualen, dort wo sie sie erlitten haben, sieht.
\nIch stehe vor der T\u00fcr des Blocks, unterhalb der Treppe und warte auf Samuel. Ich blicke mich um, es sind 28 Blocks, alle sehen gleich aus. In allen h\u00e4ngen die Bilder der Verstorbenen. In mir wird es leer. Ich kann es sehen was hier geschehen ist, aber nicht fassen, begreifen, greifen.
\nMein Blick schweift \u00fcber den Schnee, der so wei\u00df und friedlich den Ort des Todes schm\u00fcckt. Block 10, der Gef\u00e4ngnisblock, ein Perversum Maximum, ein Gef\u00e4ngnis im Gef\u00e4ngnis. Hier gibt es eine Ausstellung in der gezeigt wird wie und aus welchen Gr\u00fcnden die H\u00e4ftlinge gefoltert werden.
\nIm Keller kann man die Schreie aus vergangenen Tagen riechen, schmecken, ja f\u00f6rmlich sp\u00fcren, so grausam ist dieser Ort. Die Zellen sind dunkel, ohne Fenster, kein Spalt in der T\u00fcr, klein, kalt. Doch nicht das schlimmste. Weiter hinten gibt es Stehzellen, in denen H\u00e4ftlinge mehrere Tage stehen mussten, nicht genug Platz um sich hinzu hocken, nicht mal umdrehen war m\u00f6glich.<\/p>\n
Uns reicht es, die k\u00f6rperlich Gef\u00fchlte geistige Beanspruchung ist zu viel, wir gehen langsam und still aus dem Lager heraus, so wie wir gekommen sind, wenn doch alle h\u00e4tten gehen k\u00f6nnen.<\/p>\n
Birkenau, das gr\u00f6\u00dfere Lager. Wir kommen an der Rampe an, dem Ort der Ankunft. Nach Tagelanger qualvoller Fahrt in Viehwaggons kommen die Menschen hier an. Viele werden gedacht haben, das schlimmste sei nach der Fahrt \u00fcberstanden, beim ersten Blick auf Birkenau sollte jedem klar geworden sein, das allerschlimmste liegt hier, in Birkenau.
\nErschreckende ist die Perfektion die sofort erkennbar ist, die mathematisch berechnete Systematik, der Plan hinter dem Lager. Es ist riesig, quadratisch und alle Wege f\u00fchren zum Krematorium, es gibt nur einen Weg.
\nDiesen laufen wir entlang, schlotternd vor K\u00e4lte, wir allerdings tragen dicke Winterm\u00e4ntel.
\nHat noch in Auschwitz I die Enge bedr\u00fcckt, ist es jetzt diese Weite des Lagers, diese Dimension.
\nLange halten wir es hier nicht aus.
\nWir fahren nach Hause.<\/p>\n
Sp\u00e4ter am Abend stehe ich auf dem Balkon, es ist kalt, aber ich friere nicht, ich rauche und h\u00f6re Musik mit meinem Mp3-Player: \u201eBe Yourself\u201c von Audioslave. Da \u00fcberkommt es mich, ich kann nichts dagegen tun, ich will es auch nicht.
\nIch fange an zu weinen.
\nIch weine lange.
\nNicht nur wegen Auschwitz.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
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