{"id":676,"date":"2004-05-27T13:27:00","date_gmt":"2004-05-27T13:27:00","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=8"},"modified":"2004-05-27T13:27:00","modified_gmt":"2004-05-27T13:27:00","slug":"ist-menschliches-handeln-wirklich-jenseits-von-gut-und-bose","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/ist-menschliches-handeln-wirklich-jenseits-von-gut-und-bose\/","title":{"rendered":"Ist menschliches Handeln wirklich \u201eJenseits von Gut und Böse\u201c?"},"content":{"rendered":"
Die Frage – Ist menschliches Handeln wirklich \u201e jenseits von gut und b\u00f6se? \u2013 wird diese Facharbeit nicht beantworten k\u00f6nnen, doch ich habe mich mit einem Mann besch\u00e4ftigt der glaubte eine Antwort gefunden zu haben: Friedrich Nietzsche.<\/p>\n
Doch nicht seine Antworten, sondern seine vor allem Fragen besch\u00e4ftigen mich, das mag einem Au\u00dfenstehenden komisch vorkommen. Interessiert die Menschen doch sonst eher die Frage nach den Entwicklungen eines Denkers: Was hat er Neues gedacht, wie hat er es gedacht und warum? Nietzsche w\u00fcrde man aber Unrecht tun, wenn man ihn darauf reduzierte. Er war in meinen Augen vor allem ein brillianter Kritiker, dessen Ausruf: \u201eIch bin kein Mensch, ich bin Dynamit\u201c (Ecce Homo, Nr1; 6,365), davon zeugt, dass ihm das Zerfetzen der Theorien fr\u00fcherer Philosophen mindestens ebenso wichtig war wie seine eigenen Ideen. Diese Kritik f\u00fchrt hin zur Entwicklung einer neuen Moral, jenseits aller bekannten Werte, und auch die m\u00f6chte ich aufzeigen; neu in allen Belangen. Nicht umsonst ist Nietzsche als der Philosoph bekannt, der alles in Frage stellt und sich die Umwertung der bisherigen Werte auf die Fahnen geschrieben hat.<\/p>\n
Ich werde der Kritik Nietzsches im Buch \u201eJenseits von Gut und B\u00f6se- F\u00fcnftes Hauptst\u00fcck: Zur Naturgeschichte der Moral\u201c nachgehen und somit dem Leser eine andere Blickweise auf die Moral des neunzehnten Jahrhunderts geben, die Sicht Nietzsches. Deshalb zun\u00e4chst ein kurzer Einblick in sein Leben:<\/p>\n
\nFriedrich Nietzsche wird am 15.Oktober 1844 in R\u00f6cken als Sohn eines Pfarrers geboren, schon fr\u00fch entdeckt er die Neigung zu schreiben. Mit zehn hatte er \u00fcber f\u00fcnfzig Gedichte geschrieben und mit vierzehn beginnt er seine Autobiographie, in der bereits sein Schreibtalent durchscheint. Zeitgleich wird er in Schulpforta aufgenommen, einer alten elit\u00e4ren Klosterschule. Nietzsche war nicht ein Kind wie jedes andere: \u201eDas Bewusstsein des Andersseins und die Einsamkeit, das Zarathustra-Motiv, wenn man so will, das intensive Verh\u00e4ltnis zur Kunst, die Schwierigkeit, sich anzupassen, der Hang, einen kleinen Kreis Gleichgesinnter zu majorisieren, das feine Gef\u00fchl f\u00fcr die Sprache, selbst das sp\u00e4ter bei ihm so h\u00e4ufige Motiv des Wanderers, alles das ist mit den ersten Jugendschriften da.\u201c (S. 15, Z. 3-8) Von 1864 bis 1867 studiert er Theologie und klassische Philologie erst in Bonn und dann in Leipzig. Nach dem Studium meldet er sich erstmals als Freiwilliger um ersten Mal zum Milit\u00e4rdienst, bricht diesen aber schon nach einem Jahr ab und nimmt 1869 eine au\u00dferordentliche Professur in Basel an. Ein Jahr sp\u00e4ter bekommt er die ordentliche Professur, um dann ein halbes Jahr sp\u00e4ter ein zweites Mal in den Krieg zu ziehen, diesmal als freiwilliger Krankenpfleger.
\nEnde des Jahres 1870 kehrt er nach Basel zur\u00fcck, 1872 erscheint sein Buch \u201eDie Geburt der Trag\u00f6die\u201c, 1874 bis 1876 dann: \u201eUnzeitgem\u00e4\u00dfe Betrachtungen\u201c, in vier Teilen. Zwei Jahre sp\u00e4ter wird \u201eMenschliches, Allzumenschliches, erster Teil\u201c ver\u00f6ffentlicht, kurz darauf gibt er seinen Lehrstuhl in Basel auf um bis zu seinem Nervenzusammenbruch 1889 durch Italien zu reisen. In diese Zeit f\u00e4llt eine Reihe von Ver\u00f6ffentlichungen:
\n1880 \u201eMenschliches, Allzumenschliches, zweiter Teil\u201c,
\n1881 \u201eMorgenr\u00f6the\u201c,
\n1882 \u201eDie fr\u00f6hliche Wissenschaft\u201c,
\n1883-85 \u201eAlso sprach Zarathustra\u201c in vier Teilen,
\n1886 \u201eJenseits von Gut und B\u00f6se\u201c,
\n1887 \u201eZur Genealogie der Moral\u201c,
\n1888 \u201eDer Fall Wagner\u201c, \u201eG\u00f6tzend\u00e4mmerung\u201c, \u201eDer Antichrist\u201c und als letzes Werk Nietzsches \u201eEcce Homo\u201c.
\nAm 25. August 1900 stirbt Friedrich Nietzsche in Weimar.
\nDas Leben dieses Philosophen l\u00e4sst sich mit zwei Adjektiven gut beschreiben: einsam und unverstanden. Auch seine Schriften werden Zeit seines Lebens verschm\u00e4ht, und erst nach seinem Tod erlangen sie die Beachtung, die ihnen geb\u00fchrt und die Nietzsche zu einem der wichtigsten Philosophen, im guten wie im schlechten Sinne, des 20. Jahrhunderts macht.<\/p>\n
In meiner Reflexion von Nietzsches \u201eNaturgeschichte der Moral\u201c werde ich weniger auf die Kritik Nietzsches eingehen. Das Problem sehe ich eher in seiner Moral des \u00dcbermenschen, der Herrenmoral. Au\u00dferdem werde ich eine eigene Position zur Moral entwickeln, die ich leider, wegen der begrenzten Seitenzahl nur kurz erl\u00e4utern kann und daraus resultierend meine Beweisf\u00fchrung zur Ermittlung der Moral nur grob skizziert ist.<\/p>\n
2.1 Die Moral als Problem<\/p>\n
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Zuerst kritisiert Nietzsche nicht die bestehende Moral, sondern den Umgang mit der Moral. Er meint, den Philosophen im Allgemeinen fehle der \u201eArgwohn daf\u00fcr, da\u00df es hier etwas Problematisches gebe\u201c (S. 622 z. 18f). Nietzsches Ziel ist, eine Moral zu erschaffen, die f\u00fcr alle Zeiten G\u00fcltigkeit erlangt und nicht nur Ausdruck der Zeit ist, in der sie existiert. Und genau das wirft er den Philosophen vor, nur Ausdruck ihrer Zeit zu sein: \u201eWas die Philosophen \u201aBegr\u00fcndung der Moral\u2018 nannten und von sich forderten, war, im rechten Licht gesehn, nur eine gelehrte Form des guten G l a u b e n s an die herrschende Moral, ein neues Mittel ihres A u s d r u c k s \u201c (S. 622, Z. 19-23).<\/p>\n
Nietzsche will damit sagen, dass alle Philosophen nichts Neues, sondern nur Altes in neuem Ausdruck oder neuer Form geschrieben h\u00e4tten. Das liegt, laut Nietzsche, nur daran, weil sie die Moral nicht als Problem s\u00e4hen, denn Moral m\u00fcsse erst wissenschaftlich gegr\u00fcndet werden. Nur sei ihm das, was in Europa seiner Zeit als Wissenschaft der Moral bezeichnet werde, zu \u201ejung, anf\u00e4ngerhaft, plump und grobfingrig\u201c (S. 621, Z. 3f). Au\u00dferdem empfindet er die Bezeichnung \u201eWissenschaft der Moral\u201c als \u201eviel zu hochm\u00fctig und wider dem g u t e n Geschmack\u201c (S. 621, Z. 8f). Er will also die Moral v\u00f6llig neu bestimmen, nichts als gegeben oder gesetzt betrachten, alles anzweifeln. Nietzsche verlangt nach einer Typenlehre der Moral und gibt auch die Methoden an, nach denen diese verfahren soll, nat\u00fcrlich nicht ohne bissige Kritik an den Philosophen, die nicht so denken wie er. Etwas \u201eH\u00f6heres, Anspruchsvolleres, Feierlicheres\u201c (S. 621, Z. 22f) will Nietzsche nicht schaffen, er kann \u00fcber Philosophen, die etwas Derartiges in ihrer angeblichen Begr\u00fcndung der Moral finden wollen, nur \u201elachen\u201c (S. 621, Z.21).<\/p>\n
Nietzsche geht sogar so weit, den Philosophen Phantasterei vorzuwerfen: \u201eGerade dadurch, da\u00df die Moral-Philosophen die moralischen Fakta nur gr\u00f6blich, in einem willk\u00fcrlichen Auszuge oder als zuf\u00e4llige Abk\u00fcrzung kannten\u201c (S. 622, Z. 5-8).<\/p>\n
Ihm missf\u00e4llt, dass die Philosophen die moralischen Fakten nicht gen\u00fcgend kennen w\u00fcrden und daraus resultierend, dass ihre Moraltheorien dann nur frei erfunden seien, ohne wissenschaftliche Grundlage, also nur Phantasterei.<\/p>\n
Sein Weg zur Moral liest sich nicht heroisch und so gar nicht feierlich, sondern ganz bodenst\u00e4ndig und wissenschaftlich: \u201eMan sollte, in aller Strenge, sich eingestehn, was hier auf lange hinaus noch not tut, was vorl\u00e4ufig allein recht hat: n\u00e4mlich Sammlung des Materials, begriffliche Fassung und Zusammenordnung eines ungeheuren Reiches zarter Wertgef\u00fchle und Wertunterschiede, welche leben, wachsen, zeugen und zugrunde gehn, – und, vielleicht Versuche, die wiederkehrenden und h\u00e4ufigeren Gestaltungen dieser lebenden Kristallisation anschaulich zu machen.\u201c (S. 621, Z. 10-18)<\/p>\n
Hier macht Nietzsche deutlich, dass die vielen Wertgef\u00fchle und \u2013unterschiede untersucht werden m\u00fcssen. Durch Ordnung dieser Vielfalt k\u00f6nne man eine Typenlehre der Moral erreichen. Dies alles m\u00fcsse getan werden, da alle Moralen der Philosophen verg\u00e4nglich seien und es Ziel sein m\u00fcsse, eine allgemein g\u00fcltige Moral zu finden. Moralisches Empfinden k\u00f6nne falsch sein, die Moral selbst aber nur echt.<\/p>\n
Nietzsche ist der Erste, dem dieses Problem auff\u00e4llt. Zumindest denkt Nietzsche das und f\u00fchlt sich dazu berufen alle moralischen Verfehlungen bis zu seiner Zeit aufzuzeigen und anzuprangern. Das versucht er auf verschiedene Art und Weise. Zum einen versucht er die Verfasser dieser Moralen anzugreifen, zum anderen aufzuzeigen, dass eben diese Moralen unmoralisch seien, indem er sie zur\u00fcckf\u00fchrt auf ihre Grundlagen. Die Beweisf\u00fchrung Nietzsches soll in der vorliegenden Arbeit ausgef\u00fchrt werden.<\/p>\n
2.2 Was sagt die Behauptung der Moral \u00fcber ihren \u201eBehaupter\u201c aus?<\/p>\n
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Nachdem Nietzsche erst nur von den Philosophen und ihren Verfehlungen gesprochen hat, greift er jetzt f\u00fcnf Philosophen pers\u00f6nlich an: Schopenhauer, den er sonst als Vorbild gesehen hat, Kant, Descartes und sogar Platon und Sokrates werden direkt kritisiert.<\/p>\n
Nietzsche stellt die These auf, dass man von den Moralen der Philosophen auf ihre Person und Beweggr\u00fcnde schlie\u00dfen kann: \u201ewas sagt eine solche Behauptung von dem sie Behauptenden aus?\u201c (S. 623, Z. 20f) Nietzsche will sagen, dass die Moralbehauptungen der Philosophen nicht der Menschheit n\u00fctzen, sondern dem Philosophen, der sie aufstellt: \u201ediese Moral dient ihrem Urheber\u201c (S. 623, Z. 27f), sie sei nur Selbstschutz, Rechtfertigung des eigenen Handelns: \u201eEs gibt Moralen, welche ihren Urheber vor andern rechtfertigen sollen; andre Moralen sollen ihn beruhigen und mit sich zufrieden stimmen; mit andern will er sich selbst ans Kreuz schlagen und dem\u00fctigen; mit andern will er Rache \u00fcben, mit andern sich verstecken, mit andern sich verkl\u00e4ren und hinaus in die H\u00f6he und Ferne setzen\u201c (S. 623, Z. 20-27).<\/p>\n
Nietzsche nach seien also alle jemals aufgestellten Moralen nur Ausdruck der Bed\u00fcrfnisse des Verfassers, aber nicht wissenschaftlich erlangte Wahrheit. F\u00fcr ihn also nur verachtenswertes Geschwafel und nicht die Moral: \u201e kurz, die Moralen sind nur eine Z e i c h e n s p r a c h e d e r A f f e k t e.\u201c (S. 624, Z. 1f) Nietzsche sieht die bestehenden Moralen also als Produkt des Zufalls und der Phantasie einiger Philosophen, die f\u00fcr ihn stellvertretend f\u00fcr die Verfehlungen der Menschen in Bezug auf die Moral stehen. Denn die Affekte sind es, die den Menschen verleiten und ihn von der Br\u00fccke zum \u00dcbermenschen abhalten. Das aber wird in diesem Kapitel zur Naturgeschichte der Moral nicht n\u00e4her erl\u00e4utert, sondern in seinem Werk \u201eAlso sprach Zarathustra\u201c.<\/p>\n
2.3 Die Moral als Tyrannei gegen die \u201eNatur\u201c<\/p>\n
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Scheinbar gegens\u00e4tzlich zur Moral steht der Satz: \u201eJede Moral ist, […] ein St\u00fcck Tyrannei gegen die \u201aNatur\u2019, auch gegen die \u201aVernunft\u2019\u201c (S. 624, Z. 4f). Nietzsche erkl\u00e4rt aber sogleich, dass dies \u201ekein Einwand gegen sie\u201c (S. 624, Z. 6) sei. Nur aus irgendeiner anderen Moral, die nicht begr\u00fcndet ist, k\u00f6nne abgeleitet werden, dass \u201eTyrannei und Unvernunft unerlaubt sei[en]\u201c (S. 624, Z. 8f). Des Weiteren sei das Wesentliche der Moral, dass ihr Zwang zu Grunde liege. Daraus schlie\u00dft Nietzsche, dass Freiheit nur durch eben diesen Zwang zu erlangen sei: \u201eDer wunderliche Tatbestand ist aber, da\u00df alles, was es von Freiheit [\u2026] gibt […] sich erst verm\u00f6ge der \u201aTyrannei solcher Willk\u00fcr-Gesetze\u2019 entwickelt hat\u201c (S. 624, Z. 22-28). Damit widerspricht er den \u201eutilitarische[n] T\u00f6lpel[n]\u201c (S. 624, Z. 19) und den \u201eAnarchisten\u201c (S. 624, Z. 21), die meinen, nur durch die \u00dcberwindung dieser Willk\u00fcr-Gesetze k\u00f6nne es Freiheit geben.<\/p>\n
Als Beispiel und Festigung seiner Aussage f\u00fchrt Nietzsche das Beispiel eines K\u00fcnstlers an, der wisse, \u201ewie fern vom Gef\u00fchl des Sich-gehen-lassens sein \u201anat\u00fcrlichster\u2019 Zustand ist, das freie Ordnen, Setzen, Verf\u00fcgen, Gestalten in den Augenblicken der \u201aInspiration\u2019, – und wie streng und fein er gerade da tausendf\u00e4ltigen Gesetzen gehorcht \u201c (S. 624, Z. 31 \u2013 S. 625, Z. 3).<\/p>\n
Nietzsche bringt seine Forderung an die Moral auf den Punkt und sagt, dass nur, wenn \u201elange und in e i n e r Richtung g e h o r c h t werde\u201c (S. 625, Z. 8f) ein moralisches Handeln zustande kommen k\u00f6nne. Noch genauer: \u201eDu sollst gehorchen, irgend wem, und auf lange: s o n s t gehst du zugrunde und verlierst die letzte Achtung vor dir selbst\u201c (S. 626, Z. 15ff). Das ist Nietzsches Imperativ der Natur, der weder kategorisch ist, noch sich an den Einzelnen wendet, wie der von Immanuel Kant, sondern sich an das \u201eganze Tier \u201aMensch\u2019, an den Menschen\u201c (S. 626, Z. 23) richtet.<\/p>\n
Nietzsche r\u00e4umt zwar ein, \u201eda\u00df dabei ebenfalls unersetzbar viel an Kraft und Geist erdr\u00fcckt, erstickt und verdorben\u201c (S. 625, Z. 26f) worden sei, aber \u201edie Sklaverei ist, wie es scheint, im gr\u00f6beren und feineren Verstande das unentbehrliche Mittel\u201c (S. 626, Z. 6ff). Auch wenn man die Geschichte betrachte, k\u00f6nne man sehen, dass instinktiv nach diesem Prinzip gehandelt worden ist, so ziehe sich das \u201eFasten\u201c (S. 626, Z. 33) durch die Geschichte und sei schon in der \u201eantiken Welt reichlich wahrzunehmen\u201c (S. 626, Z. 31). Dieses Prinzip des Fastens sei ein Zwang, sich selbst zu \u00fcberlisten, damit der \u201eTrieb […] hungern lernt.\u201c (S. 627, Z. 3f). Dadurch sei zum Beispiel der Sonntag entstanden, der so langweilig gestaltet worden ist, dass die arbeitende Bev\u00f6lkerung wieder nach dem Werktage \u201el\u00fcstern wird\u201c (S. 626, Z. 29).<\/p>\n
Dieses Selbst\u00fcberlisten findet Nietzsche auch in der Philosophie des Sokrates. Dieser \u201ebrachte sein Gewissen dahin, sich mit einer Art Selbst\u00fcberlistung zufrieden zu geben\u201c (S. 629, Z. 6ff). Mit der Selbst\u00fcberlistung bzw. dem Ergebnis dieses Zwanges besch\u00e4ftigt sich Nietzsche erst gar nicht. Er will mit diesen Beispielen nur seinen Imperativ untermauern, aber nicht wie Sokrates, Platon oder die Christen, die diesen Zwang als Glaube an Gott auslegen. Wenn es um die wissenschaftliche Bestimmung der Moral geht, wird \u201eder Vernunft allein Autorit\u00e4t zuerkannt[e]\u201c (S. 629, Z. 21), denn allein die Vernunft ist in der Lage die Moral wissenschaftlich zu erfassen und zu konstruieren.<\/p>\n
2.4 Der Sklaven-Aufstand in der Moral<\/p>\n
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In diesem Kapitel geht es wieder um beides: Frage und Antwort. Antworten im Hinblick auf die Moral Nietzsches, die Herrenmoral, und die Frage, die Nietzsche an die Welt stellt: Warum diese Sklavenmoral? Auch eine wichtige Antwort im Hinblick auf Nietzsche selbst gibt uns dieses Kapitel. Hier wird beantwortet, warum die Umw\u00e4lzung aller Werte sein Antrieb ist. Er will den Zustand wiederherstellen, der vor dem Sklaven-Aufstand in der Moral geherrscht hat:<\/p>\n
Den Ursprung der Sklavenmoral sucht und findet Nietzsche im Judentum. Die Behauptung: \u201eDie Juden \u2013 ein Volk, \u201ageboren zur Sklaverei\u2019\u201c (S. 633, Z.20) versucht Nietzsche zu begr\u00fcnden, indem er ihnen die \u201eUmkehrung der Werte\u201c (S. 633, Z. 23f) vorwirft. Sie haben das \u201eWort \u201aWelt\u2019 zu einem Schandwort gem\u00fcnzt\u201c (S. 633, Z. 29), in dem sie \u201e \u201areich\u2019, \u201agottlos\u2019, \u201ab\u00f6se\u2019, \u201agewaltt\u00e4tig\u2019, \u201asinnlich\u2019 in Eins geschmolzen\u201c (S. 633, Z. 27f) h\u00e4tten. Als Beispiel f\u00fchrt er an, dass im Judentum \u201edas Wort f\u00fcr \u201aArm\u2019 als synonym mit \u201aHeilig\u2019 und \u201aFreund\u2019 zu brauchen\u201c (S. 633, Z. 30f) ist.
\nDa das Christentum aus dem Judentum resultiere und doch viele der Werte \u00fcbernommen habe, vor allem aber, und das ist hier entscheidend, die Grundlage zu glauben, ziehe sich diese Sklavenmoral bis heute durch Europa. Durch die Umkehrung der Werte seien merkw\u00fcrdige Eigenarten entstanden. Doch eigentlich sucht Nietzsche nur die Grundlage der Moralen, um nachzuweisen, dass sie unmoralisch sei. Diese Grundlage hat er gefunden. Die weiteren Ausf\u00fchrungen besch\u00e4ftigen sich mit den Folgen des Sklavenaufstands. Nietzsche zeigt dann die Entwicklung der Moralen von der Grundlage zu ihrer noch heute bestehenden Form.<\/p>\n
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2.5 Der Mensch als L\u00fcgner<\/p>\n
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Nietzsche stellt die Behauptung auf, dass der Mensch \u201evon Grund aus, von alters her \u2013 a n s L \u00fc g e n g e w \u00f6 h n t\u201c(S. 630, Z. 26f) sei. Dadurch sei dieser Wille zum Glauben entstanden. Betrachtet man zum Beispiel einen Baum, sieht man diesen Baum nicht, wie er wirklich aussieht, sondern wie wir die wenigen Informationen verarbeiten, die uns unser Auge gibt. Wir phantasieren viel hinein in das Aussehen des Baumes (vgl. S. 630, Z. 16-22). Oder der Leser eines Textes; er liest ihn nicht Silbe f\u00fcr Silbe. Er err\u00e4t das Meiste des Textes, indem er etwa ein Viertel wirklich liest und sich den Rest zusammenreimt (vgl. S. 630, Z. 14-18). Nietzsche will damit zeigen, dass alles Neue schwierig f\u00fcr uns Menschen ist und es verschiedene Wege gibt, damit umzugehen, einmal den des Glaubens, der in seinen Augen bequem, dumm und unmoralisch ist, oder den des \u201eMisstrauen[s]\u201c (S. 629, Z. 29) und der \u201eGeduld\u201c (S. 629, Z. 30). Der verlange aber \u201emehr Kraft, mehr \u201aMoralit\u00e4t\u2019\u201c (S. 630, Z. 3).<\/p>\n
2.6 Die Herde<\/p>\n
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Der Mensch habe sich, solange es Menschen gebe, in Menschenherden zusammengeschlossen. Damit meint Nietzsche \u201eGeschlechts -Verb\u00e4nde, Gemeinden, St\u00e4mme, V\u00f6lker, Staaten, Kirchen\u201c (S. 636, Z. 1-4). Diese Herden h\u00e4tten durch den Sklaven-Aufstand in der Moral ihre Best\u00e4tigung gefunden, ihren moralischen Hintergrund:<\/p>\n
\u201eAlle diese Moralen, die sich an die einzelne Person wenden, zum Zwecke ihres \u201aGl\u00fcckes\u2019, wie es hei\u00dft, – was sind sie anderes als Verhaltens-Vorschl\u00e4ge […] , allesamt in der Form barock und unvern\u00fcnftig \u2013 weil sie sich an \u201aalle\u2019 wenden, weil sie generalisieren, wo nicht generalisiert werden darf\u201c (S. 634, Z. 22, – S. 635, Z. 3). Nietzsche sagt damit, keine Gemeinschaft von Menschen sei moralisch, wenn diese Moral sich auf alle beziehe, weil er das Prinzip von der Gleichheit aller, das die Christen predigen, nicht f\u00fcr moralisch h\u00e4lt. Denn diese Moral sei nur eine Moral der Furcht; die Herden-Moral ist eine Moral aus Furcht und deshalb nicht moralisch: \u201eHerden-Moral, die Moral der Furchtsamkeit\u201c (S. 640, Z. 33). Diese Furchtsamkeit f\u00fchre dann zu einer Moral der Affekte, in der die \u201eLiebe zu Gott und zum Menschen um Gottes willen\u201c (S. 635, Z. 23f) die Gefahr vor dem N\u00e4chsten lindern soll, also der Glaube der angebliche Weg aus der Gefahr sei.<\/p>\n
2.7 Herden-Moral aus Furcht<\/p>\n
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Der Nachweis, dass die Moral, die durch den Slaven-Aufstand entstanden ist, also die Herden-Moral, nur auf Furcht basiert und sich deshalb am Ende selbst abschafft, f\u00fchrt Nietzsche mit aller M\u00fche, um damit auch nachzuweisen, dass sich der Sklaven-Aufstand von vornherein selbst widerspricht und nicht moralisch ist. Nietzsche ist sich den Auswirkungen dieser Beweisf\u00fchrung sehr bewusst und fordert sie sogar. Er weist damit nach, dass jede bisherige Moral unmoralisch sei. Sowohl jeder politische Fortschritt, als auch das gesamte Christentum, gr\u00fcnden auf Unmoral.<\/p>\n
Nach Nietzsche ist diese Herden-Moral nicht nur unmoralisch, sie f\u00fchrt sogar dahin, den Mensch zum \u201eZwergtier\u201c (S. 645, Z. 24) zu erniedrigen. Doch wie kommt er dazu, so etwas zu behaupten? Nietzsche f\u00fchrt diesen Zustand auf die Furchtsamkeit zur\u00fcck:<\/p>\n
Ein Mensch, dessen Triebe und Wertma\u00dfe miteinander k\u00e4mpfen, ist Krieg (vgl. S. 637, Z. 25-34). Er hofft und glaubt, dass dieser Krieg einmal ein Ende haben wird. Doch nach Nietzsche ist dieser Krieg wie ein \u201eLebensreiz und \u2013kitzel\u201c (S. 638, Z. 8f) und ohne diesen Reiz k\u00f6nne kein Mensch zu einem \u201eR\u00e4tselmenschen\u201c (S. 638, Z. 15) werden, der zum Siege vorherbestimmt sei. Der Glaube und die Affekte der Sklavenmoral f\u00fchren also zu einem schw\u00e4cheren Menschen (vgl. S. 637, Z. 32). Dass diese schwachen Menschen eine Moral der N\u00e4chstenliebe bevorzugen, entspringe nur der Furcht. Aus reiner N\u00fctzlichkeit, da sie allein zu schwach sind, bilden sie Herden um gemeinsam stark zu sein.<\/p>\n
Aber solange diese Moral auf reiner N\u00fctzlichkeit beruhe, k\u00f6nne sie nicht moralisch sein: \u201eSolange die N\u00fctzlichkeit, die in den moralischen Werturteilen herrscht, allein die Herden-N\u00fctzlichkeit ist, solange der Blick einzig der Erhaltung der Gemeinde zugewendet ist, und das Unmoralische genau und ausschlie\u00dflich in dem gesucht wird, was dem Gemeindebestand gef\u00e4hrlich scheint: solange kann es noch keine \u201aMoral der N\u00e4chstenliebe\u2019 geben\u201c (S. 638, Z. 24-30).<\/p>\n
Diese Herden- bzw. Sklavenmoral beruht also ausschlie\u00dflich auf der \u201eF u r c h t v o r d e m N \u00e4 c h s t e n\u201c (S. 639, Z. 16) und nicht auf N\u00e4chstenliebe. So aber eine Moral die Furcht als Grundlage habe und dazu den Glauben, dass diese Furcht einmal ein Ende habe, schaffe sie sich damit selbst ab: \u201eGesetzt, man k\u00f6nne \u00fcberhaupt die Gefahr, den Grund zum F\u00fcrchten, abschaffen, so h\u00e4tte man diese Moral mit abgeschafft. Sie w\u00e4re nicht mehr n\u00f6tig, sie h i e l t e s i c h s e l b s t nicht mehr f\u00fcr n\u00f6tig!\u201c (S. 640, Z. 34 \u2013 S. 641, Z. 2)<\/p>\n
3. Fazit der Textanalyse<\/p>\n
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So endet die Beweisf\u00fchrung Nietzsches. Er hat nachgewiesen, dass die Sklavenmoral eine Moral der Affekte ist. Diese Affekte f\u00fchren zu Furcht. Eine Moral, die auf Furcht gr\u00fcndet, schafft sich selbst ab. Da Nietzsche anfangs aber gesetzt hat, dass eine Moral, so sie Moral sei – wissenschaftlich ermittelt – allen Zeiten und Argumenten standhalten m\u00fcsse, k\u00f6nne diese Sklavenmoral nicht moralisch sein. Somit hat Nietzsche die Moral der N\u00e4chstenliebe, die Moral, auf die sich die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts gr\u00fcndet, f\u00fcr unmoralisch erkl\u00e4rt und damit auch die demokratische Bewegung in Europa, die in dieser Zeit ihren Ursprung hat. Laut Nietzsche sei das Mehrheitsprinzip n\u00e4mlich nichts anderes als Herdenmoral.<\/p>\n
Sein Modell der Herrenmoral f\u00fchrt er in dem Kapitel \u201eZur Naturgeschichte der Moral\u201c nicht weiter aus. Es lassen sich aber schon einige R\u00fcckschl\u00fcsse darauf ziehen.
\nDie Herrenmoral ist die Suche nach dem starken Menschen, eine Art darwinistisches \u201eRecht des St\u00e4rkeren\u201c-Moral. So will Nietzsche F\u00fchrer, die den Zwang aus\u00fcben, der seiner Herrenmoral zugrunde liegt: \u201eDem Menschen die Zukunft des Menschen als seinen W i l l e n , als abh\u00e4ngig von einem Menschenwillen zu lehren und gro\u00dfe Wagnisse und Gesamt-Versuche von Zucht und Z\u00fcchtigung vorzubereiten, um damit jener schauerlichen Herrschaft des Unsinns und Zufalls, die bisher \u201aGeschichte\u2019 hie\u00df, ein Ende zu machen \u2013 der Unsinn der \u201agr\u00f6\u00dften Zahl\u2019 ist nur seine letzte Form -: dazu wird irgendwann einmal eine neue Art von Philosophen und Befehlshabern n\u00f6tig sein, an deren Bilde sich alles, was auf Erden an verborgenen, furchtbaren und wohlwollenden Geistern dagewesen ist, bla\u00df und verzwergt ausnehmen m\u00f6chte. Das Bild solcher F\u00fchrer ist es, das vor u n s e r n Augen schwebt\u201c (S. 644, Z. 1-13). Zur Verwirklichung dieser Idee f\u00fchlt sich Nietzsche berufen, aber nicht um etwas nur besser zu machen, wie die meisten Denker vor ihm, sondern aus Ekel.<\/p>\n
Ich m\u00f6chte mit einem Zitat enden, das Nietzsches Denken, seinen Antrieb und auch diese Arbeit zusammenfasst:<\/p>\n
\u201eDie G e s a m t \u2013 E n t a r t u n g d e s M e n s c h e n , hinab bis zu dem, was heute sozialistischen T\u00f6lpeln und Flachk\u00f6pfen als ihr \u201aMensch der Zukunft\u2019 erscheint, als ihr Ideal! \u2013 diese Entartung und Verkleinerung des Menschen zum vollkommenen Herdentiere (oder, wie sie sagen, zum Menschen der \u201afreien Gesellschaft\u2019), diese Vertierung des Menschen zum Zwergtiere der gleichen Rechte und Anspr\u00fcche ist m \u00f6 g l i c h , es ist kein Zweifel! Wer diese M\u00f6glichkeit einmal bis zu Ende gedacht hat, kennt einen Ekel mehr als die \u00fcbrigen Menschen, – und vielleicht auch eine neue A u f g a b e !\u201c (S. 645, Z. 17-26)<\/p>\n
4. Reflexion<\/p>\n
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Ich m\u00f6chte den warnenden Satz meines Philosophielehrers: \u201eVorsicht, Nietzsche ist wie eine Droge!\u201c, als Einstieg in die Reflexion Nietzsches nutzen. Nietzsches Kritik ist keine Droge, es sei denn, man bezeichnet die Wahrheit als Droge, und so etwas Reines wie die Wahrheit kann nicht vernebeln, obwohl sie einen in Sph\u00e4ren bringen kann, die sonst nur Drogen nachgesagt werden. Nietzsche hat sich auf den gef\u00e4hrlichen Weg der Wahrheit begeben. Gef\u00e4hrlich deshalb, weil dieser schnell zu einem Irrweg werden kann, wenn man sich selbst zu wichtig nimmt oder die Erkenntnisse, die man auf diesem Weg gesammelt hat. Man muss seine eigenen Ideen genauso kritisch be\u00e4ugen, wie man die Ideen anderer betrachtet. Nietzsches Leben ist zugleich Beweis und Warnung f\u00fcr eben jene Gefahr, verfiel er in seinem letzten Lebensabschnitt doch dem Gr\u00f6\u00dfenwahn. Auch seine eigenen Schriften konnten ihn nicht mehr retten, er war in seinem Nihilismus gefangen. Alle vergeblichen Versuche, einen Ausweg aus dieser philosophischen Erkenntnis zu finden, f\u00fchrte ihn in den Wahn.<\/p>\n
Ich nahm also die Warnung ernst, die mein Interesse aber um so mehr steigerte, und ging sehr kritisch an Nietzsches Schriften heran. In jenen fand ich zwei Seiten des Menschen Nietzsche: den Kritiker und den Verzweifelten. Den einen verehre ich, dem anderen kann ich nur Mitleid entgegenbringen, sowohl auf menschlicher als auch auf philosophischer Ebene. Die Kritik Nietzsches ist so genau, dass kaum einer sie wiederlegen oder auch nur einen Fehler darin finden k\u00f6nnte. Diese Kritik, so verheerend sie auch ist, h\u00e4tte der Anfang zu etwas sehr Wahrem sein k\u00f6nnen, w\u00e4re Nietzsche genau so kritisch seinen eigenen gedanklichen Entwicklungen gegen\u00fcber gewesen.<\/p>\n
Man betrachte Nietzsches Leben und seine Entwicklung der Moral, der Herrenmoral. Es gen\u00fcgt dabei sogar eine gewisse Oberfl\u00e4chlichkeit. Nietzsche ist sein Leben lang Einzelk\u00e4mpfer, seine Moral propagiert eben diesen Typ Mensch, den \u00dcbermenschen, als einzig moralische Lebensweise. Doch Nietzsche selbst kritisiert diese Abbildung der Bed\u00fcrfnisse ihres Verfasser auf die Moral, siehe Kapitel \u201eWas sagt die Behauptung der Moral \u00fcber ihren \u201eBehaupter\u201c aus?\u201c Schon diesem wichtigen Punkt seiner Kritik h\u00e4lt Nietzsche nicht selber stand.<\/p>\n
Ich werde aber auf etwas noch sehr viel Grundlegenderes eingehen, das beweisen soll, dass Friedrich Nietzsche zwar ein brillanter Kritiker gewesen ist. Diese Kritik ist in weiten Teilen Ansto\u00df meines eigenen philosophischen Interesses gewesen, seine Entwicklung der Moral aber nicht einmal seinen eigenen Anspr\u00fcchen entspricht.<\/p>\n
Nietzsches erste Grundlage der Moral ist: Sie muss wissenschaftlich ermittelt sein, darf keinen Zweck verfolgen und muss au\u00dferdem f\u00fcr alle Zeiten G\u00fcltigkeit erlangen.
\nDaraus folgend habe ich zwei Fragen an Nietzsche:
\n1. Hat er \u00fcberhaupt die Existenz einer allgemeinen Moral bewiesen?
\n2. Hat nicht jede allgemeine Moral einen Zweck?
\nNietzsche spricht von wissenschaftlicher Ermittlung der Moral, aber bei jeder Wissenschaft muss die Grundlage bewiesen sein, bevor auf sie gebaut werden kann. Eine allgemeine Moral kann nicht moralisch sein, weil durch die Allgemeinheit einer Moral ihr der Zweck impliziert ist. Eine allgemeine Moral hat immer den Zweck, das menschliche Zusammenleben zu regeln. Sie sagt den Menschen, was gut und was b\u00f6se ist. Diesem Zweck kann eine allgemeine Moral nicht entsagen. Dadurch bleibt sie doch nur ein Zweck und dieser Zweck m\u00fcsste mit irgend etwas anderem begr\u00fcndet werden, was auch moralisch sein m\u00fcsste. Aber diese Begr\u00fcndung kann nicht moralisch sein, da eine Begr\u00fcndung aus sich selbst keine Begr\u00fcndung, sondern nur eine Rechtfertigung ist, die dann aber keineswegs moralisch ist.<\/p>\n
Wenn Nietzsche sich an seine eigenen Grunds\u00e4tze zur Ermittlung der Moral h\u00e4lt, folgt daraus, dass es keine ALLGEMEINE MORAL geben kann. Dennoch hat er, genau wie die ihm so verhassten Moralisten, auf eine Grundlage gebaut, die nicht als Moral zu denken ist, und dadurch nur einen weiteren ZWECK AM MENSCHEN erfunden. Doch dieser Zweck kann nicht als gut oder b\u00f6se, nicht einmal jenseits davon, bewertet werden, weil es keine allgemeine Moral gibt, die das bestimmen k\u00f6nnte.<\/p>\n
Nach dieser Erkenntnis kommt nat\u00fcrlich die Frage auf, wie denn die Menschheit ohne allgemeine Moral friedlich miteinander leben kann, wenn keine Moral zum Beispiel sagt: \u201eDu sollst nicht t\u00f6ten!\u201c Doch dieses Gebot, wie viele andere auch, ist uns Menschen von Geburt an gegeben. Aber nicht, weil irgendeine Moral durchs Weltall \u201eschwirrt\u201c und uns beim ersten Atemzug ins Ohr gesetzt wird, sondern weil wir Menschen DIE MORAL sind, genauer gesagt: Jeder einzelne Mensch ist Teil der Moral. Warum aber sind wir Teil der Moral? Das resultiert aus einem viel gr\u00f6\u00dferen Zusammenhang: Die Moral ist Teil der Wahrheit, aber nicht einer Wahrheit, wie sie der Mensch benutzt, um Dinge zu erkl\u00e4ren, sondern die ABSOLUTE WAHRHEIT. Diese absolute Wahrheit ist die h\u00f6chste zu denkende Ebene, etwas dass der Existenz vorgeschaltet ist, ohne die nichts existieren kann. Die Moral muss also aus der absoluten Wahrheit hervorgegangen sein, und ist das Bindeglied vom Menschen zur Wahrheit:<\/p>\n
Der grundlegendste Antrieb des Menschen ist die Suche nach Perfektion seiner selbst, also die Suche nach der absoluten Wahrheit. Der Mensch existiert, muss also wie die Moral aus der Wahrheit hervorgegangen sein. Diese l\u00e4sst sich aber vom Menschen nicht unmittelbar erfassen, also muss sich der Mensch einen Umweg w\u00e4hlen, um sie, die Wahrheit, zu erreichen. Die Moral als unmittelbarer Teil der Wahrheit muss vom Menschen als Bindeglied genutzt werden. Sie ist zwar ein Umweg f\u00fcr ihn, aber doch der einzige Weg zur Wahrheit, die einzige M\u00f6glichkeit seiner Perfektion.<\/p>\n
So hat zwar auch diese Moral, das Bindeglied zur Wahrheit, einen Zweck. Sie sagt jedem einzelnen Menschen was gut und b\u00f6se ist und ebnet ihm den Weg zur Wahrheit, aber der Zweck kann zur\u00fcckgef\u00fchrt und damit aufgehoben werden. Die Moral ist dem einzelnen Menschen ein Zweck, aber da dieser Mensch Teil der Moral ist, ist sich die Moral durch den Menschen selber Zweck. Diese ZWECKR\u00dcCKF\u00dcHRUNG ist die Aufgabe eines jeden Menschen, wenn er wirklich moralisch sein m\u00f6chte, und somit auch der Weg zur Wahrheit. Dann muss er sich nicht mehr darum k\u00fcmmern, wie er andere Menschen behandelt. Er muss nur selbst f\u00fcr sich moralisch handeln. So wird er aus dem Prinzip der Moral heraus im Einklang leben mit all denen, die auch ihre Moral gefunden haben und ihr folgen. Ein wirklich moralisches Zusammenleben ist also nur m\u00f6glich, wenn jeder einzelne Mensch sich ganz auf sich konzentriert. Dazu ist nat\u00fcrlich erst mal SELBSTERKENNTNIS n\u00f6tig, die tiefer gehen muss als oberfl\u00e4chliches \u00dcberblicken der eigenen Schw\u00e4chen und F\u00e4higkeiten. Um die Moral in sich zu finden, ist es n\u00f6tig, vom NULLPUNKT aus zu starten, jenem Punkt, an dem jegliches Hoffen und Glauben keinen Sinn mehr ergibt, alle \u00e4u\u00dferen Faktoren abgeschaltet sind und nur noch das blanke Selbst als gegeben betrachtet wird. Erst dann, wenn der Mensch, aus totalem Egoismus heraus, sich selbst auf sein Sein reduziert hat, kann er auf seine Existenz, also auch auf die in ihm existierende Moral bauen, um moralisch zu handeln.<\/p>\n
Nat\u00fcrlich ist das ein Blick nach Utopia, da die Menschheit als Ganzes niemals diesen beschwerlichen Weg gehen wird. Die Menschen halten lieber an Hoffnung und Glauben fest. Diese Welt, mit all ihren fadenscheinigen Erl\u00f6sungs-Moralen, wird allerdings niemals Frieden finden k\u00f6nnen. Der Mensch wird immer im Krieg mit anderen sein, weil er, durch die Ahnung von der Moral in ihm niemals eine Moral akzeptieren wird, die ihm von au\u00dfen aufgezwungen ist. Auch wenn der Mensch sich nur intuitiv seiner Moral bewusst ist, kann keine allgemeine Moral Frieden stiften, im Gegenteil: Sie f\u00f6rdert den Krieg, da sie durch ihre heraufbeschworene Existenz den Menschen von der Moral in ihm ablenkt.
\nMoral im Menschen ist Wahrheit, Moral f\u00fcr Menschen ist L\u00fcge!!!<<<<<
\n5.1 Quellenverzeichnis<\/p>\n
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\u2022 Frenzel, I., Friedrich Nietzsche in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1966 1<\/p>\n
\u2022 Nietzsche, F., Jenseits von Gut und B\u00f6se, o.O 1886 10<\/p>\n
\u2022 Weischedel, W., Die philosophische Hintertreppe- die gro\u00dfen Philosophen in Allteg und Denken, o.O 1975 32<\/p>\n
\u2022 Hirschberger, J., Geschichte der Philosophie \u2013Band 2 Neuzeit und Gegenwart, Freiburg 1976 13<\/p>\n
\u2022 St\u00f6rig, H. J., Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Frankfurt am Main 1999 4<\/p>\n
\u2022 Flasch, K., Nietzsche-Brevier, Stuttgart 1992 1<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
Die Frage – Ist menschliches Handeln wirklich \u201e jenseits von gut und b\u00f6se? \u2013 wird diese Facharbeit nicht beantworten k\u00f6nnen, doch ich habe mich mit einem Mann besch\u00e4ftigt der glaubte eine Antwort gefunden zu haben: Friedrich Nietzsche. Doch nicht seine Antworten, sondern seine vor allem Fragen besch\u00e4ftigen mich, das mag einem Au\u00dfenstehenden komisch vorkommen. Interessiert […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[33,34,35,24,36,37,38,39,40,41],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/676"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=676"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/676\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=676"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=676"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=676"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}