wirklich<\/em> vorstellen zu k\u00f6nnen, warum das passiert ist. Die Distanz zwischen uns und den T\u00e4tern wird ebenso eingerissen, wie die Distanz zu den Opfern. Doch wir bauen die Mauern schnell wieder auf.<\/p>\nDer Vorleser rei\u00dft die Mauer des nicht wahr haben Wollens grundlegend ein, weil er uns mit der T\u00e4terin mitf\u00fchlen l\u00e4sst, bei allem Ekel und Abstand,d en wir ihr gegen\u00fcber schnell errichten wollen. Aber dasselbe Gef\u00fchl, was uns zum Abstand zwingt, zwingt uns zur N\u00e4he, zum zerrissenen Mensch-sein, das nicht in gut und b\u00f6se, schuldig und unschuldig aufgeteilt werden kann. Aber schon hier h\u00e4ngt uns die N\u00e4he zur Selektion nach, die immer als so unvorstellbar dargestellt wird. Hannah Schmitz rechtfertigt ihr Tun mit der Verantwortung f\u00fcr ihre Arbeit und auch wenn uns diese perverse Missachtung des Mitgef\u00fchls und seine Verkl\u00e4rung als Verantwortung gallig aufst\u00f6\u00dft, schwingt doch dieser Zweifel an der Wahrheit, die diesem Biegen der uns bekannten Definition anh\u00e4ngt, mit und l\u00e4sst uns den Film \u00fcber nicht mehr los. Verantwortung ist immer auch Verdinglichung, Absetzung. Es gibt immer jemanden f\u00fcr den wir Verantwortung \u00fcbernehmen, \u00fcbernehmen sollen und wer das ist, suchen wir uns selten selbst aus.<\/p>\n
Doch w\u00e4hlen k\u00f6nnen wir, so glauben wir und errichten mit dem Verlassen des Kinosaals die Mauer wieder. Es ist eine wohl jedem bekannte und in der Schule gerne gestellte Frage: was h\u00e4ttet ihr getan? Ich hatte all diesen Leuten, die mit Inbrunst geantwortet haben, dass sie dagegen etwas unternehmen w\u00fcrden, dass sie nicht zu T\u00e4tern w\u00fcrden, nie etwas sprachliches entgegenzusetzen, aber ich wusste immer, dass ich mich in schlimmen Zeiten auf diese Beteuerungen nicht verlassen w\u00fcrde und mich das schleichende Gef\u00fchl nie losgelassen hat, dass diejenigen wohl am ehesten die T\u00e4ter sind, die gar keine T\u00e4ter sein wollen.<\/p>\n
Zerrissenes zeigt der Film in zweierlei Geschichten, die nicht zuf\u00e4llig miteinander verwoben sind. Zwei Generationen, die sich Fragen stellen mussten, die sie sich nie stellen wollten. Diese Fragen brachen aber so existenziell in ihr Leben, dass sie ihnen nur mit Mauern begegnen konnten. Aber Mauern und Stacheldraht haben die peinliche Eigenart, dass es immer jemanden gibt, der auf der anderen Seite steht. Heute, wie damals.<\/p>\n
Meine Generation stellt sich diese Fragen nicht mehr als existenzielle Begebenheiten, sondern als Geschichten in B\u00fcchern, Filmen und abstrakten Denkfiguren, doch wir sollten tunlichst vermeiden daraus eine Mauer zu errichten und von einer Zeitenwende auszugehen. Die Menschen damals und die Menschen heute mag kaum noch etwas verbinden, aber das Mensch-sein wird sich weiterf\u00fchren, so wie das Zerissen-sein die Seinsform darstellt, die zwischen allen Schritten mitschleicht, denn sie wandert selbst durch Minenfelder und Stacheldraht kann sie nicht verletzen. Mauern bauen wir uns gegen die Vergangenheit. Aber ob wir alles richtige auf unsere Seite geholt haben, oder ob wir auf der falschen Seite stehen, wissen wir nicht.<\/p>\n
Der Vorleser kann es uns nicht beantworten, aber das war auch gar nicht sein Ziel.<\/p>\n
Eine filmn\u00e4here Rezension findet ihr bei meinem Bruder: Der Vorleser<\/a>.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Ich war heute in dem Film „Der Vorleser“ und bin immer noch ber\u00fchrt von ihm. Nicht ger\u00fchrt, aber ergriffen. Wurde noch nicht losgelassen von den Fragen die der Film aufwirft, aber nicht beantwortet. Wie so viele Filme die sich mit den T\u00e4tern, Opfern und Mitwissern des 3. Reiches zu besch\u00e4ftigen versuchen. Denn beim Versuch muss […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/446"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=446"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/446\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=446"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=446"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=446"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}