{"id":415,"date":"2009-01-24T13:28:16","date_gmt":"2009-01-24T11:28:16","guid":{"rendered":"http:\/\/www.endlosrekursion.de\/?p=415"},"modified":"2015-12-11T17:03:26","modified_gmt":"2015-12-11T16:03:26","slug":"warum-ich-politikverdrossen-bin-ohne-es-zu-sein","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/warum-ich-politikverdrossen-bin-ohne-es-zu-sein\/","title":{"rendered":"Warum ich politikverdrossen bin ohne es zu sein"},"content":{"rendered":"

Ich habe in einem melancholischen Anfall von Schreibm\u00fcdigkeit einen Beitrag im Onezblog<\/a> verfasst, der versucht auszudr\u00fccken, warum ich nicht mehr Blogge, wie ich mal gebloggt habe. Dort schreibe ich, dass mir Politik gerade am Allerwertesten vorbei geht und Claudia<\/a> hat darauf regiert und fragt mich bissig:<\/p>\n

Wie seltsam, dass dir ausgerechnet in diesen Zeiten Politik so uninteressant erscheint! Ich finde, so spannend wie derzeit war es lange nicht: die Finanz- und Wirtschaftskrise ber\u00fchrt viele Menschen ganz pers\u00f6nlich, es wird wieder \u201cdie Systemfrage\u201d gestellt, man \u00fcberlegt, wie man das Finanz-Casino regeln kann und die Prognosen, was noch in n\u00e4chster Zeit auf uns zukommt, sind ausgesprochen katastrophal. Lebst du in einem so sicheren Elfenbeinturm, dass dich das alles nicht tangiert?<\/p><\/blockquote>\n

Ich bin froh, dass mich Claudia so angegangen ist, kann ich doch so versuchen zu erkl\u00e4ren, was in der \u00dcberschrift dieses Artikels als Paradoxon ausgedr\u00fcckt wird. Ich m\u00f6chte hinten anfangen und versichern, dass ich mich allerdings sicher genug in meinem Elfenbeinturm f\u00fchle und froh bin, dies auch sein zu k\u00f6nnen. Dabei steht weniger meine finanzielle oder perspektivische Zukunft im Vordergrund, sonder vielmehr eine Geisteshaltung, die ich im allgemeinen vermisse und die Ursache meine schreibenden Politikabstinenz ist. Ich halte die momentane Krise nur deshalb f\u00fcr eine wirkliche Krise, weil sich Hinz und Kunz dazu aufgerufen f\u00fchlt bei jeder Meldung die nicht den absoluten Aufschwung prognostiziert, ganz lauthals „Krise“ zu br\u00fcllen. Die „Krise“ ist \u00fcberall, jeder nutzt sie um das zu tun, was ja angeblich die Krise hervorgebracht hat: sich hervorzutun. All die ganzen Spinner, die jetzt an die Oberfl\u00e4che gesp\u00fclt werden, die es ja schon immer gewusst haben und sich jetzt best\u00e4tig zu allem berufen f\u00fchlen. Kennt ihr den Film „Fletchers Visionen<\/a>“ mit Mel Gibson und Julia Roberts? Dort produziert Jerry pausenlos Verschw\u00f6rungstheorien und wir eines Tages wirklich von der CIA entf\u00fchrt und soll ausbreiten, woher er sein „Wissen“ hat und an wen er es weitergegeben hat. Da ihm aber nicht gesagt wird, welche seiner Theorien hier gerade abgefragt wird, kann er einfach nicht antworten. Er wei\u00df einfach nicht, welche seiner tausenden Verschw\u00f6rungstheorien sich denn jetzt bewahrheitet hat. Ein Blindes Huhn finden auch mal ein Korn, trifft es wohl ganz gut.<\/p>\n

Ich kann und will mich in Anbetracht einer solchen Grundhaltung nicht zu Vorg\u00e4ngen \u00e4u\u00dfern, die ich ganz und gar nicht f\u00fcr eine Krise halte, sondern vielmehr f\u00fcr das funktionieren einer Ordnung, die sehr lange \u00fcberstrapaziert wurde. \u00dcberstrapaziert aber nicht allein von den jetzt marginalisierten teuflisch egoistischen Managern und korrupten Politikern, sondern von jedem Einzelnen in der westlichen Welt lebenden Menschen, der sich nie \u00fcber eine Struktur aufgeregt hat, die ihn bef\u00f6rdert hat. Jetzt brechen die Teile weg, die schon lange eine riesen Seifenblase waren. Was daran ist so dramatisch?<\/p>\n

Aber ich will das gar nicht in concreto diskutieren, weil mir sonst wieder all die armen Menschen um die Ohren gehauen werden, die viel Geld, ihren Job und was wei\u00df ich noch alles verloren haben. Dass soll nicht das Schicksal Einzelner verkl\u00e4ren, aber es hat sich dennoch niemand beschwert, solange alles funktioniert hat.<\/p>\n

Jetzt, in einer aufgeheizten Stimmung, wo die hochtrabende Idee wieder mehr z\u00e4hlt, als das k\u00fchle Argument, habe ich keine Lust mich \u00fcber Systemfragen mit Leuten zu unterhalten, die solange die Fresse nicht aufgemacht haben, wie sie das System unterst\u00fctzt hat, aber die ersten sind, die einfordern, was sie nie gegeben haben. Das ist Opportunismus in Reinform. Was mir vorgeworfen werden kann und soll, ist dass ich hier genauso verallgemeinere und vielen damit nicht gerecht werde. Weil ich eben merke, dass mich die Stimmung auch nicht kalt l\u00e4sst. Aber \u00fcber Verbesserungen und notwendige Reformen oder sogar grunds\u00e4tzliche \u00c4nderungen diskutiert man nicht in Rage. Jedenfalls nicht, wenn man annimmt, dass sich Geschichte zwar nicht wiederholt, Menschen aber auch nicht vollkommen anders handeln, nur weil sie achtzig Jahre sp\u00e4ter leben.<\/p>\n

Ich k\u00f6nnte hier jetzt noch seitenlange rhetorisch wie argumentative Bomben aufschreiben, warum die „Krise“ zwar keine tolle Situation ist, warum ich auch einiges notwendig zu ver\u00e4ndern halte, was ich ver\u00e4ndern w\u00fcrde etc. Interessant ist dies aber nicht aufgrund der „Krise“, sondern lediglich in einer prinzipiellen Hinsicht. Der Aktionismus, der in Teilen zwar gerechtfertigt sein mag, ist doch Teil dessen, was jetzt \u00fcberall verteufelt wird. Neu Anfangen kann man nicht in Krisenzeiten, da gibt es nur Umbr\u00fcche, die einen mir suspekten Hang zur schwarz-wei\u00dfen Metaphorik haben, sondern in Zeiten, wo man nicht zur Reaktion gezwungen ist. Das m\u00f6gen Ansichten aus dem Elfenbeinturm sein, der weniger mit den momentanen Krisen und daf\u00fcr besser mit den prinzipiellen Problemen umzugehen wei\u00df, aber diese Haltung werde ich nicht verloren gehen lassen, nur weil es verbreitete Meinung ist, es sei erste B\u00fcrgerpflicht jetzt das „richtige“ zu meinen, zu tun und zu denken.<\/p>\n

Ich werde mich nicht von einer Hysterie anstecken lassen, die weit gr\u00f6\u00dfere und gef\u00e4hrlichere Auswirkungen haben kann als eine Rezession.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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