{"id":4,"date":"2007-02-21T23:35:05","date_gmt":"2007-02-21T21:35:05","guid":{"rendered":"http:\/\/philosophie.raphael-raue.de\/2007\/02\/21\/was-ist-metaphysik\/"},"modified":"2007-02-21T23:35:05","modified_gmt":"2007-02-21T21:35:05","slug":"was-ist-metaphysik","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/was-ist-metaphysik\/","title":{"rendered":"Was ist Metaphysik?"},"content":{"rendered":"

Ein kleiner Einblick mit besonderem Augenmerk auf Kants Vorrede zur \u201cKritik der reinen Vernunft\u201d (2. Auflage)<\/h3>\n

Entstanden aus einer Gruppenarbeit zum Seminar \u201cEinf\u00fchrung in die Philosophie\u201d. Ich danke besonders Michael und Eneia, die den Gro\u00dfteil dieses Textes geschrieben haben und mir erlauben auch die nicht von mir geschriebenen Teile zu ver\u00f6ffentlichen. Danke.<\/p>\n

Immanuel Kants Wirken stellt einen wichtigen Punkt in der Entwicklung der Metaphysik dar. Da sich jedoch in den Auffassungen dieser philosophischen Disziplin im Laufe ihrer Geschichte ein starker Wandel vollzogen hat, w\u00fcrde die einseitige Fixierung auf einen Autor zwangsl\u00e4ufig ein falsches Licht werfen. Deshalb wollen wir uns dem naturgem\u00e4\u00df schwer fassbaren Thema in Form eines \u2013 wenn auch sehr kurzen \u2013 historischen Abrisses n\u00e4hern, unter Nennung einiger wichtiger Repr\u00e4sentanten und mit Schwerpunkt auf Immanuel Kant.<\/p>\n


\nAntike und Mittelalter<\/strong><\/p>\n

I.\tAristoteles als Begr\u00fcnder der Metaphysik<\/p>\n

Aristoteles wird h\u00e4ufig als Begr\u00fcnder der Metaphysik genannt. Jedoch war nicht er es, der den Begriff \u201eMetaphysik\u201c selbst pr\u00e4gte, obwohl eines seiner ber\u00fchmtesten Werke heute diesen Titel tr\u00e4gt. (Der Name \u201eMetaphysik\u201c mag bereits in unmittelbarer N\u00e4he Aristoteles\u2019 entstanden sein, nachweisbar ist er jedoch erst im 1. Jahrhundert v.Chr.. Einer h\u00e4ufig erz\u00e4hlten, aber ungesicherten Anekdote zu Folge geht der Name zur\u00fcck auf einen Zufall: in einer Bibliothek wurden die Schriften, die heute als \u201eMetaphysik\u201c bekannt sind, hinter Aristoteles\u2019 Physik eingeordnet und entsprechend benannt.) Unber\u00fchrt davon bleibt der Gegenstand der Disziplin, die Aristoteles selbst als \u201eErste Philosophie\u201c, manchmal aber auch einfach als \u201eWeisheit\u201c bezeichnete: die Prinzipien und Ursachen der Dinge. Wer die Fundamentalbedingungen und das Wesen einer Sache kennt, ist ein Weiser, der gewisserma\u00dfen alles wei\u00df (-> vgl. hierzu Leitfaden \u201ePhilosophiebegriffe\u201c, Aristoteles). In diesem Sinne stellt die Metaphysik bei Aristoteles eine Art Universalwissenschaft dar, die im Gegensatz zu Einzelwissenschaften nicht einzelne Aspekte des Seins, sondern das Sein an sich, in seiner allgemeinsten Hinsicht, untersucht.<\/p>\n

II.\tThomas von Aquin<\/p>\n

F\u00fcr Thomas von Aquin, einen der wirkm\u00e4chtigsten Theologen und Philosophen des Mittelalters, war Aristoteles unbestreitbar der wichtigste Philosoph der Antike. Entsprechende \u00fcbernahm er die Vorstellung von der Metaphysik als Lehre vom Seienden als Seiendes. Absolutes Sein kommt bei Thomas nur Gott zu; alles andere hat Anteil am Sein, und zwar entsprechend seiner Wesensnatur. Dieses hierarchisch-ontologische Modell ist zugleich grundlegend f\u00fcr die thomasische Ethik.<\/p>\n

Metaphysik bei Kant<\/strong><\/p>\n

Ab dem 17. Jh. wurde die Metaphysik in die Ontologia generalis und die Ontologia spezialis untergliedert. Die Ontologia generalis ist das, was heute als Ontologie bezeichnet wird und befasst sich mit dem Sein des Seienden.
\nDie Ontologia spezialis wird heute Metaphysik genannt und befasst sich mit der Bestimmung der metaphysischen Gegenst\u00e4nde: die (philosophische) Theologie mit dem Gegenstand Gott, die Kosmologie mit dem Gegenstand Welt und die Psychologie mit dem Gegenstand Seele. Dies ist die Untergliederung der Disziplinen, die Kant kannte und an der er sich abarbeitete.<\/p>\n

Kant geht in der Vorrede zur zweiten Auflage der \u201eKritik der reinen Vernunft\u201c der Frage nach, ob die Metaphysik eine Wissenschaft sein kann und unter welchen Umst\u00e4nden sie zu einer Wissenschaft werden kann.
\nNach Kant ger\u00e4t die Vernunft in der Metaphysik \u201ekontinuierlich ins St[o]cken\u201c . Die Metaphysik stellt sich f\u00fcr ihn lediglich als ein \u201eKampfplatz\u201c dar, der \u201edazu bestimmt zu sein scheint, seine Kr\u00e4fte im Spielgefechte zu \u00fcben\u201c. Da also das Verfahren der Metaphysik \u201eein blo\u00dfes Herumtappen\u201c sei, bedarf es nach Kant einer kopernikanischen Revolution . Dieser Metapher bedient sich Kant, um die perspektivische \u00c4nderung zu veranschaulichen, welche er einfordert: W\u00e4hrend eine der vorherrschenden Schulen seiner Zeit, der Empirismus, davon ausging, dass unsere Erkenntnis sich nach den Gegenst\u00e4nden richtet und diese Gegenst\u00e4nde erkennbar w\u00e4ren, vertritt Kant die Position, dass wir nur Erscheinungen erkennen k\u00f6nnen. Hierf\u00fcr unterscheidet Kant zwischen dem Ding als Erscheinung und dem Ding an sich. Dabei sind Gegenst\u00e4nde, die wir durch Erfahrung erkennen k\u00f6nnen, Erscheinungen. Mit Erscheinungen haben wir es zu tun, wo unsere Anschauungsformen von Raum und Zeit sowie die Kategorien des Verstandes mit der erfahrbaren Welt zusammenfallen. Dem gegen\u00fcber handelt es sich beim Ding an sich um das Ding, wie es unabh\u00e4ngig vom erkennenden Subjekt besteht. Es kann vom Verstand gedacht und kognitiv konstruiert, jedoch nicht erkannt werden, da es nicht erfahren werden kann. Somit gilt als Referenzrahmen das Erkenntnissubjekt selbst, dessen Erkenntnisleistungen von a priori vorhandenen Anschauungsformen und Kategorien abh\u00e4ngen. Die Gegenst\u00e4nde \u2013 \u201eals Objekt[e] der Sinne\u201c \u2013 richten sich nach unserem Erkenntnisverm\u00f6gen .
\nDurch diese Revolution sollte die Metaphysik nicht mehr ein blo\u00dfes Herumtappen und Kampfplatz ohne einheitliche Methode sein, sondern eine Disziplin der Vernunft, welche sich nur mit sich selbst besch\u00e4ftigt und nicht mehr mit Begriffen, wie Gott, Freiheit, die keine Erkenntnisgegenst\u00e4nde werden k\u00f6nnen. Jedoch bildet sie die Vernunft als unbedingte Ideen. Diese sollten lediglich Postulate sein, welche nicht erkannt, nur geglaubt werden k\u00f6nnen . W\u00e4hrend die Idee der Freiheit mit Hilfe der theoretischen Philosophie nicht zu beweisen ist, erkl\u00e4rt Kant sie in seiner praktischen Philosophie zur notwendigen Bedingung von Moral. Im Gegensatz zur theoretischen Vernunft produziert die praktische Vernunft keine Erkenntnis, sondern wirkt gesetzgebend, besch\u00e4ftigt sich also mit normativen Aussagen.<\/p>\n

Es sollen nun vorgreifend einige Begriffe gekl\u00e4rt werden, die bei Kants erkenntnistheoretischer Eingrenzung der Metaphysik eine wichtige Rolle spielen: \u201espekulativ\u201c und \u201etranszendental\u201c.
\nKant gebraucht den Begriff \u201espekulativ\u201c nicht nur synonym zu \u201etheoretisch\u201c, sondern gebraucht diesen an manchen Stellen mit einem eher pejorativen Akzent: ein spekulatives Vorgehen tendiert dazu, die Grenzen der Erfahrung zu \u00fcberspringen und ungesicherte Erkenntnisse anzunehmen. Daher muss nach Kant die spekulative Vernunft kritisiert und eingeschr\u00e4nkt werden .
\nDer Begriff \u201etranszendental\u201c muss vom Begriff \u201etranszendent\u201c unterschieden werden. Der Begriff \u201etranszendent\u201c kommt auch in den Theologien vor und impliziert ein \u201e\u00dcberfliegen\u201c der Grenzen der Erfahrung. Die \u201etranszendentale\u201c Untersuchung hingegen analysiert die Bedingungen der M\u00f6glichkeit von Erkenntnis. Die transzendentale Frage lautet daher: \u201eWas sind die Grenzen von Erkenntnis?\u201c. Die Begriffe waren zu Kants Zeit h\u00e4ufig synonym, aber bei Kant erh\u00e4lt der Begriff an manchen Stellen die oben angerissene, Bedeutung.
\nDie Transzendentalphilosophie, welche die Erkenntnism\u00f6glichkeiten der Vernunft untersucht, geht nach Kant der Metaphysik voraus und bildet quasi den \u201eganzen Vorri\u00df zu einem System der Metaphysik\u201c : \u201eSie [die Kritik der reinen spekulativen Vernunft] ist ein Traktat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umri\u00df derselben, so wohl in Anschauung ihrer Grenzen, als auch den ganzen inneren Gliederbau derselben.\u201c
\nDie Metaphysik wird nur dann zur Wissenschaft, wenn das Ger\u00fcst der spekulativen Vernunft mit praktischen Data (Erfahrung) a posteriori angef\u00fcllt wird . Nach Kant wird aus Denken nur dann Erkenntnis, wenn eine R\u00fcckkoppelung an die Erfahrung stattfinden kann. So findet er zu einer Synthese zwischen Rationalismus und Empirismus: Erfahrung ist zwar n\u00f6tig f\u00fcr Erkenntnis, Kant geht jedoch nicht von der Erfahrung aus, denn das w\u00e4re lediglich Wahrscheinlichkeitswissen.
\nVom Sein als Sein, Gott, dem ersten Anfang, der Unsterblichkeit der Seele und der Freiheit ist keine Erkenntnis m\u00f6glich. Diese Begriffe fallen in den Bereich des Glaubens, dem das Wissen somit \u201ePlatz macht\u201c . Mit \u201eGlauben\u201c jedoch meint Kant nicht etwa den christlichen Glauben, sondern die Moralit\u00e4t. Im Gegensatz zur theoretischen Vernunft, die an empirische Erfahrungen gebunden ist, ist die praktische Vernunft unabh\u00e4ngig von der Au\u00dfenwelt; hier ist der Mensch frei zum Handeln nach selbstgegebenen, moralischen Gesetzen.
\nKant will aufzeigen, wor\u00fcber man etwas wissen kann und was man glauben muss. Um dies zu bewerkstelligen strebt er nach einer kopernikanischen Wende in der Metaphysik.<\/p>\n

Mit Hilfe der Kritik soll die Metaphysik zu einer Wissenschaft werden, welche \u201enotwendig dogmatisch [aus sicheren Prinzipien a priori streng beweisend] und nach der strengsten Forderung systematisch, mithin schulgerecht [lehrbar]\u201c sein soll. Die ihr zugrundeliegende Methode, welche Kant Christian Wolff (1679-1754) entleiht, umfasst die gesetzm\u00e4\u00dfige Feststellung der Prinzipien, die deutliche Bestimmung der Begriffe, eine strenge Beweisf\u00fchrung und die \u201eVerh\u00fctung k\u00fchner Spr\u00fcnge in Folgerungen […]<\/p>\n

Metaphysik nach Kant<\/strong><\/p>\n

Eine umfassende Darstellung der aktuellen Metaphysik-Forschung w\u00fcrde den Rahmen dieses Leitfadens sprengen. Die Meinungen gehen weit auseinander, von der Forderung zur Abschaffung der Metaphysik bis zur Wahrscheinlichkeitstheorie ihrer Existenz gibt es einige aktuelle Theorien. Zwei davon m\u00f6chten wir gerne in aller K\u00fcrze darstellen. Alfred Jules Ayer und Alvin Plantinga.<\/p>\n

Ayer fordert in seinem 1936 erschienenen Buch \u201eSprache, Wahrheit und Logik\u201c die Abschaffung der Metaphysik, da er sie f\u00fcr unsinnig h\u00e4lt. Seiner Theorie nach, sei Metaphysik nicht verifizierbar und somit sei es unsinnig \u00fcber sie zu diskutieren. Denn wenn jemand \u00fcber Gott, als ein Beispiel der Metaphysik, spricht, sagt er nichts \u00fcber einen verifizierbaren Gegenstand, anhand dessen man Argumente abgleichen k\u00f6nnte. Wenn er aber \u00fcber nichts spr\u00e4che, h\u00e4tte so etwas auch nichts mehr in der Philosophie zu suchen.<\/p>\n

Alvin Plantinga pl\u00e4diert in seinem Buch \u201eGod, Feedom and Evil\u201c allerdings f\u00fcr die Metaphysik und ihre gerechtfertigte Stellung in der Philosophie. Auch wieder speziell am metaphysischen Beispiel \u201eGott\u201c. Er bezieht sich darauf, dass auch in der Philosophie einige Grundannahmen getroffen werden, die nicht zu beweisen sind. So nimmt der Common Sense an, dass die Au\u00dfenwelt existiert und diese eine Vergangenheit hat. Das seien basale Meinungen, auf die alle Meinungen basieren und die nicht selbst von anderen Meinungen abh\u00e4ngen. Basale Meinungen, sind zwar zu verteidigen gegen kritische Fragen, aber sie sind nicht zu beweisen. Die Meinung Gott existiere sei aber auch eine solche basale Meinung. Sie m\u00fcsse sich zwar gegen kritische Fragen wehren \u2013 wenn sie das nicht kann, ist sie widerlegt \u2013 aber sie habe eine gleiche Stellung in der Philosophie wie die Meinung, es gebe eine Au\u00dfenwelt und ihre Vergangenheit.<\/p>\n

Die weite Spanne an Meinungen im Metaphysikdiskurs des 20. Jahrhunderts \u2013 von radikaler Ablehnung in den 1930ern bis hin zur Verteidigung der Metaphysik in den 1970ern \u2013 soll zeigen, dass man nicht von einer Entscheidung f\u00fcr oder gegen Metaphysik in der Entwicklung dieser Frage sprechen kann. Es gibt eine gro\u00dfe Diskussion, ob und wie weit Metaphysik in der Philosophie vertreten sein soll, bzw. noch sein kann.<\/p>\n

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