{"id":324,"date":"2007-07-01T17:22:33","date_gmt":"2007-07-01T15:22:33","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/item\/2007\/07\/erfahrung-ist-auch-nicht-das-wahre\/"},"modified":"2007-07-01T17:22:33","modified_gmt":"2007-07-01T15:22:33","slug":"erfahrung-ist-auch-nicht-das-wahre","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/erfahrung-ist-auch-nicht-das-wahre\/","title":{"rendered":"Erfahrung ist auch nicht das Wahre"},"content":{"rendered":"

Dieser Artikel ist eine Reaktion des Artikels „red doch tacheles<\/a>„. Ich habe lange \u00fcberlegt, ob ich mich dazu \u00e4u\u00dfern soll und mich jetzt doch positiv entschieden. Der Artikel ist interessant und dennoch lehne ich die Grundaussage entschieden ab. Warum m\u00f6chte ich hier erl\u00e4utert und gehe daf\u00fcr in der Geistesgeschichte um etwa 2500 Jahre zur\u00fcck. Denn dieser Konflikt ist nichts neues und die Positionen sind es auch nicht. Platon und Aristoteles haben diesen Konflikt stellvertretend schon einmal ausgefochten. Und bitte lest den Artikel auf Fixmr, bevor ihr hier kommentier, denn sonst ist die Betrachtungsweise wirklich zu einseitig.<\/p>\n

Aber zun\u00e4chst einmal zum Konflikt. Oliver schreibt \u00fcber die Erfahrung und das sie „echtes Leben“ \u00fcberhaupt erst M\u00f6glich macht. Erfahrung verringert zudem die M\u00f6glichkeit die „falschen“ Schl\u00fcsse zu ziehen. Erfahrung l\u00e4sst einen Gedanken vollziehen, die der Unerfahrene sich scheinbar nicht macht. Erfahrung bringt Vorsprung, der zu respektieren sei. Alles andere ist pubert\u00e4r.<\/p>\n

Das ist Olivers Position, nat\u00fcrlich von mir k\u00fcnstlich zugespitzt. Es muss schon so sein, dass er sich darin nicht wiederfindet, auch wenn ich stur dem Text gefolgt bin. Die Position wird allerdings relativiert, dass auch der Erfahrenste nicht Perfekt sei. Aber etwas anderes war auch nicht zu erwarten.<\/p>\n

Ich will gar nicht direkt auf den Text eingehen, sondern stelle ein paar Fragen an den Text, die mir vollkommen dunkle erscheinen, um dann Platon und Aristoteles sprechen zu lassen.<\/p>\n

Was meint Oliver wohl mit dem echten Leben? Gibt es denn ein, also ein echtes? Oliver ist der Aristoteles in dem Konflikt, der besagt, dass jedem Menschen ein Ergon, ein Wesen innewohnt, dass durch lernen, \u00fcben und Wissen bef\u00f6rdert werden muss. Es gibt ein echtes Wesen\/ Leben was gefunden werden muss. Aristoteles, und ich denke Oliver auch, meint mit Erfahrung nicht nur das fortgeschrittene Alter, sondern die Zeit, die auf das Ergon verwendet wurde. Wie weit ist der Mensch sich selbst schon n\u00e4her gekommen.<\/p>\n

Platon demgegen\u00fcber h\u00e4lt von Erfahrung nichts und von Respekt auch nicht. Seine Figur des Sokrates l\u00e4sst er sich hinwegsetzen \u00fcber jegliche Norm und Manier. Sokrates ist es egal ob jemand alt, jung, erfahren oder unerfahren ist. Das Wissen und die M\u00f6glichkeit zu denken wohnt dem Menschen inne und kann von jedem Menschen entdeckt werden. So entlockt er im Menon einem Sklaven die Theorie des Pythagoras. So konfrontiert er immer wieder erfahrene M\u00e4nner mit ihrem Nichtwissen, welche ganz entgegen ihrer Erfahrung zu stehen scheint. Es scheint nur so, weil Erfahrung f\u00fcr Sokrates nichts bedeutet, wenn sie nicht genutzt wird um Wissen zu begr\u00fcnden.<\/p>\n

An der Beschreibung dieser beiden Positionen, die unvollst\u00e4ndig und bruchst\u00fcckhaft ist, kann man schon ablesen, welche ich wohl pr\u00e4feriere. Die Position des Aristoteles ist metaphysisch. Sie geht von einem Wesen des Menschen aus, dass bis heute nicht bewiesen werden konnte. Die metaphysische Philosophie ist seit Nietzsche nahezu tot und die Argumente gegen solche starke Annahmen sind zahllos.<\/p>\n

Platon hat einen viel bescheideneren Wissensbegriff. Sokrates wei\u00df nicht nur um die Unm\u00f6glichkeit der Perfektion, die auch Aristoteles einr\u00e4umt, er wei\u00df, dass kein Wissen m\u00f6glich ist. Das ist nat\u00fcrlich nicht so zu verstehen, dass \u00fcberhaupt kein Wissen m\u00f6glich ist, sondern nur, dass man sich seines Wissens nicht zu sicher sein soll.<\/p>\n

Der Erfahrene hat tats\u00e4chlich einige Vorteile, so hatte er mehr Zeit zu denken, Wissen zu erlangen und Dinge zu \u00fcben. So wie Aristoteles es beschreibt. Aber Platon w\u00fcrde einwerfen, dass es gar nichts nutzt, wenn die intellektuelle Bescheidenheit des Wissens um das Nichtwissen nicht hinzukommt.<\/p>\n

Wer l\u00e4nger lebt hatte mehr Zeit Vorurteile anzuh\u00e4ufen. Er hatte auch viel mehr Zeit sich Rechtfertigungen f\u00fcr diese zu \u00fcberlegen. Er hatte auch viel mehr Zeit seine Macht auszubauen um diese sogar zur Untermauerung seiner Vorurteile zu nutzen. Er kann Vorurteile viel subtiler unter die Leute bringen, weil er nicht mehr so pubert\u00e4r ungest\u00fcm ist. Alles schlechte M\u00f6glichkeiten, die ich \u00fcberhaupt nicht in Olivers Text finde.<\/p>\n

Das hei\u00dft nicht, dass er sie nicht auch bedacht hat, aber dennoch bleibt es mir unklar, warum das nicht einmal erw\u00e4hnt wird. Ein Kommentator fragt Oliver „Hast du noch nie einen 60-j\u00e4hrigen Vollidioten gesehen?“ und der antwortet „Selbst der gr\u00f6\u00dfte Idiot der selbstst\u00e4ndig lebt, kann doch nicht der gr\u00f6\u00dfte sein, wenn er es denn packt alleine zu leben.“ Wenn das das echte Leben ist, nur zu leben, wo bitte ist dannder Vorsprung der Erfahrung?<\/p>\n

Auch wenn ich hoffe, dass jetzt nicht das gebashe losgeht, weil ich jung bin, damit angeblich auch unerfahren, m\u00f6chte ich einen kleinen Disclaimer schreiben: Ich bin 22 Jahre, studiere erst im zweiten Semester, noch keine Zwischenpr\u00fcfung, wohne seit meinem 17. Lebensjahr nicht mehr bei Mutti, sondern allein. War ein Jahr allein auf mich gestellt im Ausland und habe dort Sozialarbeit in einer Romajugendeinrichtung gemacht, aber muss noch immer nicht das Geld f\u00fcr eine Familie verdienen, habe auch noch keine Kinder.<\/p>\n

Was das alles mit dem Thema, oder \u00fcberhaupt mit Themen und ihrer inhaltlichen Diskussion zu tun hat, ist mir eben auch ein R\u00e4tsel. Genau deshalb habe ich diesen Artikel geschrieben. Ich wei\u00df einfach nicht, was die Erfahrung f\u00fcr eine Art Argument sein soll. Auch wenn ich verstehen kann, dass Oliver so mancher dumme Frage\/ Kommentar vorbeugen will mit diesem Artikel. Aber taugtdie Argumentation zu mehr?<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Dieser Artikel ist eine Reaktion des Artikels „red doch tacheles„. Ich habe lange \u00fcberlegt, ob ich mich dazu \u00e4u\u00dfern soll und mich jetzt doch positiv entschieden. Der Artikel ist interessant und dennoch lehne ich die Grundaussage entschieden ab. Warum m\u00f6chte ich hier erl\u00e4utert und gehe daf\u00fcr in der Geistesgeschichte um etwa 2500 Jahre zur\u00fcck. Denn […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[403,380,521,121,165,82,198,39,485,522,492,70],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/324"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=324"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/324\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=324"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=324"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=324"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}