Deutschlands Jugend hat den Glauben an die Politik verloren und plant schon die Zeit nach dieser Republik.<\/strong><\/p>\nUnd geht es nach dem Denker, dessen Gedanken zur Demokratie ich euch im Folgenden vorstellen m\u00f6chte, h\u00e4tte es auch gar nicht anders kommen k\u00f6nnen. Demokratie ist nur ein Zeitabschnitt in der ewig wiederkehrenden Abfolge von Oligarchie, Demokratie und Diktatur. So schrieb vor mehr als zwei Tausend Jahren Platon und l\u00e4sst der Hypothese eine gewichtige Analyse folgen. Dieser will ich nicht ganz folgen, w\u00fcrde es doch hier zu langatmig. Ich gebe sie gek\u00fcrzt wieder und empfehle jedem, den diese Analyse genauer interessiert, die \u201ePoliteia\u201c zu lesen und die Argumente genauer zu studieren.<\/p>\n
Platon unterscheidet drei Staatsformen, die sich in einem ewigen Wechsel abl\u00f6sen. Die Demokratie l\u00f6st die Oligarchie ab, die Demokratie f\u00fchrt in die Diktatur und diese wiederum wird in die Oligarchie \u00fcbergehen. Alle drei Staatsformen haben systemimmanente Fehler, die den st\u00e4ndigen Wechsel herbeif\u00fchren. Bei der Oligarchie ist es die Gier nach Reichtum, die in eine Revolution m\u00fcndet, der Diktatur wohnt die Machtgier inne, die den Tyrannen st\u00fcrzen wird. Der Fehler der Demokratie ist die absolute Freiheit, die den Grundgedanken der Demokratie beherrscht und sowohl ihren Anfang und ihr Ende bedeutet.<\/p>\n
Die Freiheit soll der Fehler der Demokratie sein? Das klingt paradox, doch es steckt mehr dahinter, als ein unreflektierter Freiheitsbegriff, der heute oft skandiert wird.<\/p>\n
\u201eIch denke mir, wenn eine demokratische Stadt nach Freiheit d\u00fcrstet, aber b\u00f6se Weinschenken an ihre Spitze bekommt und sich \u00fcber den Durst am ungemischten Wein der Freiheit berauscht, dann wird sie ihre Regierenden bestrafen, wenn diese nicht ganz nachgiebig sind und ihr in reichem Ma\u00dfe Freiheit gew\u00e4hren, indem sie sie als verbrecherisch und oligarchisch beschuldigt.\u201c (Platon: Politeia. 562c.)<\/p>\n
Ich werde jetzt nicht die argumentative Hinf\u00fchrung und die Analyse der \u00fcberm\u00e4\u00dfigen Freiheitsgier des demokratischen Menschen verfolgen, sondern habe dieses Zitat ausgew\u00e4hlt, da es mir die direkte \u00dcberleitung zur Gegenwart mit Platons Gedanken erlaubt. Der oben zitierte Moment ist derjenige, an dem die Demokratie anf\u00e4llig wird f\u00fcr Demagogen und Tyrannen, die sich noch nicht als solche zeigen. Das Streben nach Freiheit birgt in sich schon die Umkehr und das Verf\u00fchrtwerden; den Wechsel der Demokratie zur Diktatur.<\/p>\n
Ich k\u00f6nnte jetzt die Weimarer Republik anf\u00fchren und dann Parallelen und Unterschiede aufweisen, um auf die Gefahr einzugehen, die von solchen Situationen ausgeht. Das werde ich nicht tun, sondern diesen grundlegenden Moment untersuchen. Wer unbedingt eine direkte Beziehung zur Gegenwart pr\u00e4sentiert haben m\u00f6chte, der sehe sich im Internet und auf Demonstrationen, Bushaltestellen und sonstigen Aufkleberfarmen um. Er wird sicherlich einige Beispiele der Vorw\u00fcrfe finden: verbrecherisch und oligarchisch. Aber diese Vorw\u00fcrfe bleiben nicht mehr in in ihren Mileus, in denen sie seit den 60er Jahren zu finden sind und doch die Demokratie nie ernsthaft gef\u00e4hrdet haben. Diese Vorw\u00fcrfe finden sich zunehmend auch in der Politik. Sei es bei Christiansen oder auf Gewerkschaftsveranstaltungen. Sei es bei der neu formierten Linkspartei, sei es im Parteiprogramm der NPD. Der Vorwurf, der Staat beute den B\u00fcrger aus und nehme ihm seine Freiheit, ist nicht neu, aber in seiner Vehemenz doch eine Auswirkung der wirtschaftlichen Stagnation der letzten Jahre.<\/p>\n
Die Brisanz der platonischen \u00dcberlegung, zusammen mit den sich h\u00e4ufenden \u00c4u\u00dferungen einiger Politiker liegt auf der Hand, auch wenn diese ausfallenden Politiker sicherlich noch nicht sonderlich zahlreich sind. \u00c4u\u00dferungen, die dem Staat \u201eTerror am Hindukusch\u201c vorwerfen, schweben mir da jetzt vor. Es sind Angriffe auf die Demokratie, die als solche sogar demokratisch ablaufen m\u00fcssen, folgt man Platon.<\/p>\n
Aber ich w\u00fcrde auch \u00c4u\u00dferungen hinzunehmen, die direkt aus der \u201eneuen Mitte\u201c stammen. Wenn die Unschuldsvermutung nicht mehr \u00fcberdauern soll, dann ist das auch ein direkter Angriff auf die Freiheit des B\u00fcrgers und damit der zweite Schritt in einer Eskalation, die unweigerlich in das von Platon beschrieben Szenario f\u00fchren muss, sollte sich nicht irgendetwas Substanzielles im Verh\u00e4ltnis von Staat und B\u00fcrger verbessern.<\/p>\n
Dann ist es auch egal, ob der Demagoge, der zum Tyrannen aufsteigen will, von rechts oder links kommt. Beide Extrempositionen bieten genug Grundlage, um verzweifelten Menschen, die um ihre Freiheit bangen, plausible Erkl\u00e4rungen zu geben, so falsch und inkonsistent sie auch sein m\u00f6gen. Versprechungen sind eine starke politische Waffe, auch im demokratischen Spektrum.<\/p>\n
Aber will ich hier jetzt eine gro\u00dfe Gefahr f\u00fcr die Demokratie herbeischreiben oder sehe ich sie wirklich?<\/p>\n
Keines von beidem, aber das ist ein Szenario, das Platon beschreibt, das sicherlich nicht einfach weggewischt werden kann und sollte. Demokratie ist st\u00e4ndig in Gefahr und das wenigstens kann uns die deutsche Geschichte lehren. Ich lasse auch das Argument nicht gelten, dass die Bev\u00f6lkerung heute viel demokratisierter sei, als das in der Weimarer Republik der Fall war. Platon beschreibt nicht einzelne demokratische Systeme, sondern ein Grundproblem, dass allen innewohnt.<\/p>\n
Wird die Demokratie auf jeden Fall zusammenbrechen?<\/strong><\/p>\nNun ich bin kein Hellseher und kann deshalb erstmal nur mit Platon antworten: Ja das wird sie! Allerdings ist vielen nicht bewusst, dass das, was unser Staatssystem in der BRD bezeichnet, eher eine Parteienoligarchie, denn eine Demokratie zu nennen w\u00e4re, aber das ist wohl eher Haarspalterei, k\u00f6nnte aber Aufschluss dar\u00fcber bieten, warum die BRD vielleicht nicht unbedingt in die platonische Krise st\u00fcrzen muss. Sie ist schon eine Mischform.<\/p>\n
Worauf ich eigentlich hinaus will mit diesen platonischen Gedanken ist die Unsinnigkeit der Politikverdrossenheit. Das m\u00f6chte ich im Folgenden ausf\u00fchren. Dazu werde ich drei Grundthesen formulieren:<\/p>\n
These 1<\/em>: Dieser Staat ist nicht der optimale Staat. Kein Staat dieser Welt ist ein optimaler Staat.<\/p>\nThese 2<\/em>: Die optimale Staatsform ist noch nicht gefunden.<\/p>\nThese 3<\/em>: Die heutige demokratische Staatsform ist die optimale, um ein besseres System zu erdenken\/entwickeln.<\/p>\nUm meine Thesen zu begr\u00fcnden, m\u00f6chte ich die Gedanken eines weiteren Philosophen beanspruchen: John Rawls. In seinem Werk \u201eEine Theorie der Gerechtigkeit\u201c nimmt er eine unglaublich wichtige Unterscheidung vor, die sicherlich erhellend sein wird. Gerechtigkeit ist nicht gleich Gerechtigkeit und somit werden viele Anschuldigungen von Politikverdrossenen zu Unsinn und dem momentan bestehenden Staat eine ganz andere Rolle zugeteilt als vielleicht bisher erwartet.<\/p>\n
Nach Rawls kann es keinen gerechten Staat geben, es wird immer Ungerechtigkeit geben und auch ein perfekter Staat kann diese nicht ausgleichen. Gerechtigkeit wird vielmehr vor Gr\u00fcndung des Staates erreicht und zwar in einem Gedankenexperiment, das ich euch kurz vorstellen m\u00f6chte.<\/p>\n
Unter dem Schleier des Nichtwissens treffen sich die Menschen, um \u00fcber einen perfekten Staat zu beraten. Dieser Schleier meint, dass niemand wei\u00df, wo er in diesem Staat stehen wird. Wo er in ihn hinein geboren wird, welche F\u00e4higkeiten und Talente er haben wird und ob er erfolgreich sein wird oder nicht. Dadurch soll eine Objektivit\u00e4t erreicht werden, um einen gerechten Staat entwickeln zu k\u00f6nnen. Befangenheit der Menschen ist in diesem Gedankenexperiment ausgeschaltet. Es wird dann eine Wirtschafts-, Rechts- und Staatsform gesucht, die unter diesem Schleier als gerecht gelten kann.<\/p>\n
Der Staat ist gerecht und die Ungerechtigkeit entsteht erst durch die Unm\u00f6glichkeit, dass alle alles haben. Die Gerechtigkeit des Staates wird \u201eau\u00dferhalb\u201c dieser Welt in einem Gedankenexperiment sichergestellt.<\/p>\n
Daran ist auch schon zu zeigen, dass meine These 1 richtig ist und kein Staat dieser Welt als gerecht bezeichnet werden kann, weder im ersten noch im zweiten rawlschen Sinne. Alle Staaten heute sind partikul\u00e4r und es gibt nicht einen Staat mit gleichen Regeln f\u00fcr Alle. Die Gerechtigkeit im Schleier des Nichtwissens kann aber nicht partikul\u00e4r sein und nur Menschen bestimmter Landstriche vorbehalten sein.<\/p>\n
Meine zweite These werde ich nicht beweisen k\u00f6nnen, allerdings gibt der gesunde Menschenverstand Grund genug f\u00fcr diese Annahme. Ein Staat muss flexibel, darf aber nicht zu flexibel sein. Muss sich weltver\u00e4ndernden Situationen anpassen k\u00f6nnen, ohne seine Grundpositionen zu verlassen. Diese Form des flexiblen Staates ist noch nicht gefunden. Es existieren Grundger\u00fcste, die besser oder schlechtere Fundamente bieten. Demokratie ist ein Modell unter vielen.<\/p>\n
Das Modell Demokratie ist aber das momentan beste, da es zumindest so best\u00e4ndig ist, dass es die M\u00f6glichkeit bietet, an einem besseren Staat zu arbeiten, Theorien zu entwickeln und den Diskurs zu suchen. Meinungsfreiheit ist der Schl\u00fcsselbegriff. Meine These 3 bezieht sich darauf. Es gibt vieles in dieser Demokratie, was unglaublich schlecht l\u00e4uft, Ungerechtigkeiten und systemimmanente Fehler. Aber wir sollten dankbar sein, in diesem System die M\u00f6glichkeit zu haben, \u00fcber bessere Systeme nicht nur nachzudenken, sondern sie auch voranzutreiben. Aber wir sollten diese Chance auch nutzen und uns nicht in Selbstmitleid verlieren.<\/p>\n
Politikverdrossenheit ist dumm, weil sie die Situation missdeutet und nicht versteht. Sie sieht sich einem politischen System gegen\u00fcbergestellt, das nicht gerecht ist, aber sieht nicht die Chancen, es zu verbessern. Damit meine ich nicht, w\u00e4hlen zu gehen oder den Politikern Beifall zu klatschen. Ich meine, dass geforscht, diskutiert, geredet und gestritten werden muss. Aber nicht gek\u00e4mpft. Gewalt kann nie Grundlage eines gerechten Staates sein, also lohnt es sich auch nicht, f\u00fcr ihn zu k\u00e4mpfen. Ich meine nicht, dass der gewaltsame Widerstand in Zeiten des Dritten Reiches unrecht war, sondern nur, dass das auf den Zweiten Weltkrieg aufgebaute System eben auch nicht gerecht ist. Wir m\u00fcssen die Chancen der Demokratie nutzen.<\/p>\n
Unser demokratisches System ist ein Luxus, der in der Geschichte der Menschheit noch nicht vorgekommen ist und die deutsche Auspr\u00e4gung ganz besonders. Doch statt diese Chance zu nutzen, resignieren wir. Das muss sich \u00e4ndern. Ich will jetzt hier keinen Ausblick geben, wie das zu tun ist oder in welcher Form, auch wenn ich nat\u00fcrlich meine Vorstellungen davon habe.<\/p>\n
Ich ende an dieser Stelle und hoffe, dass ich zeigen konnte, dass Politikverdrossenheit wider die Vernunft ist. Die Gegenfrage stellt sich aber dennoch und ist nicht beantwortet: Was ist vern\u00fcnftig, auf welchem Weg k\u00f6nnen wir vern\u00fcnftig partizipieren und vor allem, wie \u00fcberbr\u00fccken wir die Grabenk\u00e4mpfe der Demokratie, um in einen Diskurs eintreten zu k\u00f6nnen, der vielleicht irgendwann Fr\u00fcchte tragen wird?<\/p>\n
Ich hoffe, dass dieser Ausflug in die Philosophie nicht zu grundlegend war und ich in den Augen des geneigten Lesers am Thema vorbeigeschrieben habe, aber ich halte es f\u00fcr wichtig in die Tiefen der Begriffskl\u00e4rung zu gehen, bevor man Ideologien verbreitet oder sich politisch engagiert. Was ist Freiheit, was gerecht? So theoretisch diese Fragen auch sind, sie m\u00fcssen gekl\u00e4rt werden, bevor man sich an ihre Umsetzung macht.<\/p>\n
\nPolitik muss nicht aus Worth\u00fclsen und Politikersprech bestehen. Politik ist das, was wir daraus machen!<\/strong><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"Dieser Artikel ist mein Beitrag zum politischen Blog-Karneval. Er ist lang geworden, aber das Thema zwang mich dazu. Ich habe \u00fcberlegt ob ich ihn in in drei Teilen ver\u00f6ffentliche, mich aber dagegen entschieden um den Zusammenhang besser deutlich zu machen. \u201ePolitikverdrossenheit in Deutschland. Wohin f\u00fchrt uns die Parteiendemokratie? Kritiken, Analysen und Utopien sind gefragt!\u201c Haben […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[251,447,110,135,24,165,166,39,485,505,12,407,285,112,46,396,16,41],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/301"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=301"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/301\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=301"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=301"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=301"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}