{"id":1535,"date":"2013-03-08T13:04:13","date_gmt":"2013-03-08T11:04:13","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=1471"},"modified":"2015-10-15T11:32:15","modified_gmt":"2015-10-15T09:32:15","slug":"die-normalitat-des-bosen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/die-normalitat-des-bosen\/","title":{"rendered":"Die Normalit\u00e4t des B\u00f6sen"},"content":{"rendered":"

Ich habe es gestern dann doch noch geschafft den Film Hannah Arendt<\/em> bei uns im Programmkino zu schauen, kurz bevor er abgesetzt wird. Und er hat beeindruckt. Und ich kann ihn empfehlen. So wie ich ihr Buch Eichmann in Jerusalem<\/em> ebenso jedem zu lesen empfehle. Um den Eichmannprozess und ihren Umgang mit diesem geht es auch in diesem Film. Jedenfalls war dies meine Perspektive auf den Film. Rezensiert wurde er ja haupts\u00e4chlich als Portr\u00e4t einer starken Frau. Und so kann man ihn sicher auch aufnehmen, aber mir ging es eher um die Entwicklung ihrer Gedanken zur Banalit\u00e4t des B\u00f6sen. Um die Auseinandersetzung mit einem Ph\u00e4nomen, was zwischen Normalit\u00e4t und Grauen angesiedelt ist und was ein ebenso radikales Denken braucht, um es aufzudecken. Radikales Denken ist allerdings nicht totalit\u00e4res Denken. Das zu unterscheiden ist nur im Denken selbst m\u00f6glich. Nie ist diese Unterscheidung selbst kategorisch.
\n<\/a><\/p>\n

Hannah Arendt war sicherlich eine starke Frau, eine starke Pers\u00f6nlichkeit, aber vielmehr war sie eine Denkerin, die dem Denken einen so gro\u00dfen Teil ihres Lebens widmete, dass es sie ebensogut h\u00e4tte auffressen k\u00f6nnen. Ich sollte zwar durchaus noch erw\u00e4hnen,d ass ich von ihrem Hauptwerk, der Vita activa nichts, aber auch rein gar nichts halte und ihr bei der Entwicklung der dort vorgetragenen Gedanken viel zu viele einfache und unbedachten Abk\u00fcrzungen vorwerfe, aber die Gedanken zur Banalit\u00e4t des B\u00f6sen, zum Kern des Totalitarismus, die sie in Konfrontation mit Eichmann entwickelt, sind vielleicht die wichtigste politische Entdeckung des 20. Jahrhunderts.<\/p>\n

Ihr Argwohn gegen jedwede Normalit\u00e4t ist die Grundlage, um in Eichmann das zu sehen, was sonst niemand in ihm gesehen hat: Eichmann ist kein Monster, ist kein klassischer T\u00e4ter, niemand, der sich \u00fcber sein gewissen hinwegsetzt und t\u00f6tet, sondern schlicht das, was als normal angesehen wird. Ein Spie\u00dfer vielleicht, eine schwache Pers\u00f6nlichkeit, ein Niemand, aber jemand, der aus diesen schw\u00e4chen keine Kraft zieht, sondern schlicht tut, was er f\u00fcr Normal h\u00e4lt. Normalit\u00e4t ist die Gl\u00e4ubigkeit, dass die Regeln, nach denen Gesellschaften funktionieren, schon irgendwie ihre Richtigkeit haben. Normalit\u00e4t ist es, zu wissen, dass man nichts tun kann und deshalb auch der Verantwortung enthoben ist, etwas zu tun. Normalit\u00e4t ist die H\u00f6rigkeit, dem Alltag das Denken zu \u00fcberlassen. Normalit\u00e4t ist das, was Hannah Arendt die selbstgewandte Entmenschlichung der Person durch Missachtung des eigenen Person-seins nennt. Und ohne die so gedachte Normalit\u00e4t kann kein Totalitarismus entstehen. K\u00f6nnen Verbrechen dieser Gr\u00f6\u00dfenordnung nicht gedacht werden. Einfache T\u00e4ter-Opfer-Beschreibungen k\u00f6nnen den Holocaust nicht beschreiben. Schlicht weil eine so organisierte Grausamkeit nicht durch die Grausamkeit einzelner durchf\u00fchrbar ist, sondern die Normalit\u00e4t bzw. Gleichg\u00fcltigkeit der Vielen voraussetzt.<\/p>\n

Argwohn gegen Normalit\u00e4t. Ohne dabei in jedem Spie\u00dfer Adolf Eichmann zu sehen. Denken statt Ausf\u00fchrung von Unbedachten.<\/p>\n

Dieser Argwohn hat Hannah Arendt selbst sehr viel Argwohn eingebracht. Die Vorw\u00fcrfe und Anfeindungen gegen Sie waren vielf\u00e4ltig, aber sie hatten eines gemeinsam: unbedachte Normalit\u00e4t.<\/p>\n

Es ist schwierig einen solchen Text zu beenden, denn ein solcher muss immer wie der Aufruf zu mehr Skepsis der Normalit\u00e4t gegen\u00fcber wirken. Dies zu brechen geht nur \u00fcber den Aufruf, selbst zu denken. Und das sauere aude<\/em> hat zwar die Form eines Imperativs, kann aber nur in sich selbst konsistent sein, wenn es sich selbst schon hervorbringt. Denn die Normalit\u00e4t der Alternative ist ebenso eine Normalit\u00e4t, wie ihr abgelehntes Gegenteil. Und Denken muss sich immer an Normalit\u00e4t reiben, kann diese aber auch zu jeder Zeit best\u00e4tigen. Nur wenn diese M\u00f6glichkeit bedacht ist, ist Denken radikal.<\/p>\n

Der Bruch mit dem Normalen ist unaufgehoben selbst wieder Normalit\u00e4t.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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