{"id":146,"date":"2008-03-02T23:55:15","date_gmt":"2008-03-02T21:55:15","guid":{"rendered":"http:\/\/www.endlosrekursion.de\/146\/wissen-macht-medien\/"},"modified":"2008-03-02T23:55:15","modified_gmt":"2008-03-02T21:55:15","slug":"wissen-macht-medien","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/medien\/wissen-macht-medien\/","title":{"rendered":"Wissen Macht Medien"},"content":{"rendered":"

Ich habe gerade ein Interview im Tagesspiegel mit dem Darmst\u00e4dter Soziologen Michael Hartmann gelesen, der seinen Schwerpunkt auf die Erforschung von Eliten setzt. Mir ist dabei eine Textstelle besonders ins Auge gefallen. Hartmann antwortet auf die Aussage des Interviewers, dass Spitzenmanager mehr leisten, mehr Steuern zahlen und immer die Gefahr best\u00fcnde, dass sie abwandern:<\/p>\n

Dieses Legitimationsmuster h\u00e4lt keiner empirischen \u00dcberpr\u00fcfung stand. Deutsche Topmanager k\u00f6nnen nicht einfach ins Ausland gehen. Es gibt keinen internationalen Markt f\u00fcr Spitzenkr\u00e4fte. Nur neun von 100 deutschen Spitzenmanagern sind Ausl\u00e4nder, vor allem \u00d6sterreicher und Schweizer. In Frankreich und Japan ist es jeweils einer. In den USA sind es f\u00fcnf. Dennoch wird das Argument gebetsm\u00fchlenartig wiederholt. Quelle Tagesspiegel<\/a><\/em><\/p><\/blockquote>\n

Ich m\u00f6chte dies nicht nutzen einen weiteren Kn\u00fcppelschlag gegen die so genannten Eliten zu f\u00fchren, auch wenn ich meine, sie haben es nicht erst durch den Liechtensteiner Skandal der massenhaften Steuerhinterziehung verdient. Vielmehr habe ich diese Legitimation der astronomischen Geh\u00e4lter von Managern bisher f\u00fcr richtig gehalten. Diese Geh\u00e4lter werden gerne von denjenigen, die sie beziehen, durch einen Vergleich legitimiert: Fu\u00dfballspieler verdienen auch riesige Summen und dort f\u00e4nde das niemand ungerecht, schlie\u00dflich will man auch in der Bundesliga mal einem Ribery, Diego oder Toni beim Zaubern zusehen. Wenn Bayern, Bremen oder Schalke nicht so viel Geld auf den Tisch legen w\u00fcrden, dann spielen diese Weltstars eben in England, Italien oder Spanien.<\/p>\n

Doch wenn man Hartmann glauben schenken will, dann ist dieser Vergleich so falsch, wie unaufrichtig. Hier geben sich Manager einen Marktwert, den sie empirisch nicht best\u00e4tigen k\u00f6nnen. Wenn es keinen globalen Managermarkt gibt, dann muss anderes dahinter stecken, dass Unternehmen bereit sind, ihren h\u00f6chsten Angestellten so viel Geld zu bezahlen. Da ich jetzt keine Spekulation anstellen will, was Unternehmen scheinbar un\u00f6konomisch handeln l\u00e4sst und wie viel pers\u00f6nliche Seilschaften dabei eine Rolle spielen, konzentriere ich mich auf das Wissen, was scheinbar in der Gesellschaft verankert, aber falsch ist.<\/p>\n

Dieses Ammenm\u00e4rchen habe ich die letzten Jahre geglaubt. Ich h\u00e4tte es wohl auch noch weitere Jahre geglaubt, wenn mir dieses Interview nicht in die H\u00e4nde gefallen w\u00e4re. Ich habe es vorher als Wissen betrachtet, habe es jetzt aktualisiert und werde es nicht mehr als Wissen ausweisen, sondern, wann immer ich dieses Argument h\u00f6ren werde, als falsches Wissen zur\u00fcckweisen. Doch mit welchem Recht werde ich dies tun k\u00f6nnen?<\/p>\n

Hartmann spricht davon, dass die Abwanderungsgefahr der Spitzenmanager empirisch nicht haltbar sei. Er gibt Zahlen an, die darauf hinweisen, dass Spitzenmanager nicht abwandern. Doch ist es dadurch schon schl\u00fcssig? Nein, denn es k\u00f6nnte durchaus von den Unternehmen argumentiert werden, dass die empirischen Zahlen nur deshalb zustande kommen, weil sie die Manager ja halten: mit Spitzengeh\u00e4ltern. Wer kann dann dem jeweils anderen nachweisen, was richtig ist? Wir gelangen zur Frage nach dem Huhn und dem Ei. Dies ist eine Sackgasse f\u00fcr den Laien, der einfach nicht gut genug mit der relevanten Materie vertraut ist, um Huhn und Ei voneinander zu trennen.<\/p>\n

Wir leben in einer Laiendemokratie und m\u00fcssen bei jeder Wahl erneut entscheiden, was wir nicht entscheiden k\u00f6nnen, weil wir durch falsche Informationen geleitet werden. Wir sind vielleicht in zwei bis drei Gebieten in der Lage uns eine qualifizierte Meinung zu bilden. In den meisten Entscheidungen, die wir demokratisch treffen sollen, k\u00f6nnen wir nur irgendeine Meinung haben. Aus Gemeinpl\u00e4tzen bilden wir uns mehr oder weniger scharfsinnige Erkl\u00e4rungen f\u00fcr die Meinung zu einem Thema. Aber liegt das daran, dass wir zu dumm sind? Ich denke nicht.<\/p>\n

Ich denke indes, dass wir nicht genug informiert werden bzw. nicht richtig informiert werden. Die Vermittlung zwischen Politik und dem B\u00fcrger ist zum einen die Aufgabe der Politik selbst, aber vor allem die Aufgabe der Medien. Zeitung, Magazine, Fernsehen und H\u00f6rfunk sind nicht von Gesetz und Gesellschaft mit einer enormen Rechts- und Machtf\u00fclle ausgestattet um horrende viel Geld zu verdienen, sondern um die Informations- und Machtungleichheit zwischen Politik und B\u00fcrger auszugleichen. Sicherlich will ihnen niemand verbieten auch weiterhin die Leute mit Big Brother Staffel 99 zu voyeurisieren, aber es nervt mich langsam, dass die Qualit\u00e4t nach Leserzahlen und Einschaltquoten immer weiter gesenkt wird. Die \u00d6ffentlichen k\u00f6nnten das doch machen, ist eines der gern hervorgebrachten Argumente, wenn es darum geht, eben nicht die gesellschaftliche Verantwortung zu \u00fcbernehmen. Aber dabei wird nicht nur vergessen, dass die \u00f6ffentlich-rechtlichen Sender „nur“ deshalb so viel Geld bekommen, um \u00fcberhaupt einen Grundstock von unabh\u00e4ngiger Berichterstattung zu garantieren. Das sagt noch nichts \u00fcber die Verantwortung aus, die alle Medien tragen, so sie sich auf die Pressefreiheit st\u00fctzen. Keine Freiheit ohne Verantwortung.<\/p>\n

Es wird sich gerade unter den Eliten des Landes dar\u00fcber aufgeregt, dass die Herde Volk so dumm sei. Aber wie sollen sie denn auch an politische Informationen kommen, wenn die Zeitungen voll von Debatten sind, ob Angela Merkel Bundeskanzlerin geworden ist, weil sie jetzt die Haare sch\u00f6n hat , ob Innenminister Sch\u00e4uble deshalb so viel Sicherheit will, weil er vor einigen Jahren einem Messerattentat zum Opfer gefallen ist. Warum gehen die ach so intelligenten Eliten denn nicht besser mit ihrem Informationsauftrag um und fragen sich ob es richtig zu finden ist, was Sch\u00e4uble da macht, ob vielleicht Angela Merkel ein b\u00fcrgern\u00e4heres Wahlprogramm hatte. Diese Psychologisierung der Wahlkampfberichterstattung ist wahrlich auf ein dummes Volk zurechtgeschnitten, das sich nicht die M\u00fche machen will, Politik zu verstehen und deshlab lieber nach Sympathie und neuen Haaren w\u00e4hlt. Aber wiederum sind wir bei der Frage nach dem Ei und dem Huhn angekommen. Ist das Volk dumm oder wird es verdummt?<\/p>\n

Es ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass sich W\u00e4hler durch Frisuren und eloquentes Auftreten beim W\u00e4hlen beeinflussen lassen. Es ist aber genauso wenig von der Hand zu weisen, dass ein Volk, das in einer so ausgepr\u00e4gten Informationsgesellschaft lebt, noch viel st\u00e4rker durch Medien beeinflusst wird.<\/p>\n

Verkauft uns nicht immer f\u00fcr dumm und wedelt abwehrend mit den H\u00e4nden, irgendwas von Konsumenten schwafelnd, die das doch nur so wollen. Der Markt regelt sich durch Angebot und Nachfrage, nicht allein durch Einschaltquoten, Verkaufs- und Abonnementenzahlen. Das ist eindimensional und eben genau das, was ihr dem ach so dummen Volk vorwerft.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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