{"id":134,"date":"2006-11-22T20:29:00","date_gmt":"2006-11-22T20:29:00","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=134"},"modified":"2006-11-22T20:29:00","modified_gmt":"2006-11-22T20:29:00","slug":"logische-probleme-schiff-des-theseus","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/logische-probleme-schiff-des-theseus\/","title":{"rendered":"Logische Probleme: Schiff des Theseus"},"content":{"rendered":"

Vielleicht ist einigen dieses logische Problem in ihrem Schul- bzw. Universit\u00e4tsleben schon untergekommen. F\u00fcr alle anderen m\u00f6chte ich das Problem einmal hier aufzeigen. Vorweg: Ich habe auch keine Antwort, keinen neuen logischen Kniff um die Waagschale einer der M\u00f6glichkeiten neigen zu lassen. Ich will es hier schildern, da es mir einigen Spa\u00df gemacht hat, das Problem \u00fcberhaupt in seiner Tiefe zu begreifen und dann mit den M\u00f6glichkeiten der L\u00f6sung zu spielen, auch wenn es unfruchtbar geblieben ist und kein weltver\u00e4ndernder Gedankengang herausgekommen ist :\/<\/p>\n

Jetzt aber zu dem Problem „Das Schiff des Theseus“<\/p>\n

Theseus hat ein Schiff, was schon ein wenig \u00e4lter ist. Es ist voll funktionsf\u00e4hig, also Seetauglich. Dennoch m\u00f6chte er es erneuern lassen. Deswegen \u00fcbergibt er es einem Schiffbauer, der jede der insgesamt 1000 Planken durch eine neue ersetzen soll.<\/p>\n

Dieser aber hat zwei Docks und findet es schade die doch noch Seetauglichen alten Planken wegzuschmei\u00dfen und ordnet an, jede Stunde eine neue Planke anzubringen und diese in Dock B bringen zu lassen und an genau die Stelle anzubringen an der sie vorher an dem anderen Schiff war.<\/p>\n


\nWir verdeutlichen die Situation. Ein Theseus Schiff wird in Dock A geschafft. In Dock B ist zun\u00e4chst nichts. Jede Stunde wird eine Planke in Dock A durch eine neue ersetzt und in Dock B die alte gebracht. So geht es 1000 Stunden, denn es sind 1000 Planken.<\/p>\n

Um den Verlauf deutlicher zu machen, will ich folgende Grafik anbringen:<\/p>\n

Der Anfangszustand sieht wie folgt aus, die „0“ steht f\u00fcr eine alte Planke [wobei aus Platzgr\u00fcnden nicht alle 1000 aufgezeichnet sind]<\/p>\n

\"20061122-schiff-theseus-1.jpg\"<\/p>\n

Nach der ersten Stunde sieht die Situation folgenderma\u00dfen aus. Eine alte Planke wurde in Dock A durch eine neue, hier durch ein „+“ gekennzeichnet, ersetzt und in Dock B geschafft<\/p>\n

\"20061122-schiff-theseus-2.jpg\"<\/p>\n

Nach 1000 Stunden sind alle Planken in Dock A ausgetauscht und in Dock B ist ein komplettes Schiff entstanden<\/p>\n

\"20061122-schiff-theseus-3.jpg\"<\/p>\n

Soweit so gut. Die Frage sei angebracht wo denn jetzt das Problem versteckt ist. Nat\u00fcrlich in der richtigen Frage an dieser Stelle.<\/p>\n

Welches Schiff ist Theseus Schiff?<\/p>\n

Ist Schiff X oder Schiff Y jetzt Theseus Schiff? Dabei soll nicht juristisch auf die Besitzverh\u00e4ltnisse eingegangen werden, denn diese Frage impliziert das Beispiel nicht, denn es mag eine Frage der Vereinbarung zwischen Theseus und dem Schiffbauer sein. Nein, die Frage ist die nach der Identit\u00e4t. Welches Schiff hat jetzt die Identit\u00e4t Theseus Schiff zu sein?<\/p>\n

Darf ich kurz einschieben, dass bitte nicht zu vorschnell geurteilt werden sollte, es ist immerhin ein schon sehr lange existierendes Problem und noch NICHT gel\u00f6st. Also Vorsicht mit vorschnellen Entscheidungen f\u00fcr eines der beiden Schiffe.<\/p>\n

Vier M\u00f6glichkeiten der Meinung zu diesem Problem lassen sich formulieren, wobei zwei davon recht schnell wieder beiseite gelegt werden k\u00f6nnen.<\/p>\n

1. Schiff X ist Theseus Schiff
\n2. Schiff Y ist Theseus Schiff
\n3. Beide sind die Schiffe Theseus
\n4. Keines der beiden ist das Schiff Theseus<\/p>\n

Meinung 3. und 4. k\u00f6nnen verworfen werden. Aus folgenden Gr\u00fcnden<\/p>\n

Meinung 3. ist logisch zu widerlegen, denn Schiff X ist ein Ding, Schiff Y auch ein Ding, da aber Theseus Schiff auch ein Ding ist, kann es nicht X und Y sein, denn ein Ding kann niemals zugleich zwei Dinge sein. Einfach aber logisch.
\nMeinung 4. ist nicht logisch beizukommen. Auch wenn man sagen kann, ein Ding kann niemals kein Ding sein, entsteht ein Problem, das mindestens genauso weit und tief geht, wie das Problem, das wir schon hier haben. Aber wenn man nicht mit einem Wunder oder \u00e4hnlichen argumentieren will, was vielleicht f\u00fcr das verschwinden verantwortlich sein mag, kann man sich getrost den Meinungen 1. und 2. zuwenden und sie pr\u00fcfen.<\/p>\n

Meinung 1. w\u00fcrde wie folgt begr\u00fcndet:<\/p>\n

Theseus Schiff wurde in Dock A gebracht und hat es nicht verlassen. Es wurde viel an ihm gemacht, ver\u00e4ndert, aber die Tatsache, dass in Dock B ein anderes Schiff entstanden ist, ist rein zuf\u00e4llig und muss deshalb nicht in die Erw\u00e4gung einbezogen werden. Wichtig ist der Prozess in Dock A und dort l\u00e4sst sich feststellen, dass Theseus Schiff nicht herausgebracht wurde, also ist es auch nach 1000 Stunden noch Theseus Schiff.<\/p>\n

Meinung 2. w\u00fcrde so begr\u00fcndet:
\nH\u00e4tte der Schiffbauer ganz zu Anfang einfach Theseus Schiff in Dock B gebracht, w\u00fcrde niemand daran zweifeln, dass dieses das Schiff des Theseus ist. Aber ist nicht genau das, wenn auch mit zeitlicher Verschiebung geschehen. Das Schiff des Theseus wurde nach und nach in Dock B gebracht. Es spielt keine Rolle ob auch noch ein anderes Schiff gebaut wurde, wichtig ist, dass Theseus Schiff zwar erst in Dock A gebracht wurde, aber nur um es Stunde f\u00fcr Stunde in Dock B zu \u00fcberf\u00fchren.<\/p>\n

Beide Meinungen sind damit gerechtfertigt. Jetzt m\u00fcsste man beide auf ihre Rechtfertigung, Argumente und Pr\u00e4missen pr\u00fcfen. Da eine solche \u00dcberpr\u00fcfung aber wohl eher eine Doktorarbeit als ein Blogeintrag w\u00e4re, will ich mich daraus beschr\u00e4nken zu jeder Meinung einen Einwand ins Feld zu f\u00fchren und dann dieses Problem meinen Lesern \u00fcberlassen.<\/p>\n

So wird in Meinung 1. von dem Prinzip ausgegangen, ein Ganzes sei nur die Menge seiner Teile. Wenn wir uns aber ein anderes Beispiel vor Augen f\u00fchren wird dieses Prinzip zweifelhaft, zumindest auf unseres Problem bezogen.
\nHomer hat viel Haare, er ist ein richtiger Wuschelkopf. Zieht man ihm ein Haar \u00e4ndert sich nichts. Zieht man ihm 1000 Haare auch nichts. Es ist aber vollkommen einleuchtend, dass z\u00f6ge man ihm alle Haare, niemand mehr von Homer als Wuschelkopf spr\u00e4che. So ist es auch bei unserem Schiff, eine Planke \u00e4ndert die Identit\u00e4t nicht, aber alle Planken schon.<\/p>\n

In Meinung 2. ist das Prinzip, dass ein Ganzes die Summer seiner Teile in bestimmter Anordnung ist. So wird argumentiert, dass auch wenn es erst in Dock A ist, wird es doch mit allen seinen Teilen in Dock B in die selbe Anordnung gebracht. Da ist aber der Einwand, dass diese Anordnung sich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht und das Prinzip also nicht ausreichend ist. Nur weil zu dem Zeitpunkt, als das Schiff in Dock A gebracht wird diese Anordnung Theseus Schiff ist, muss es nicht auch nach 100 Stunden noch so sein. Denn, sobald eine Planke neu an Theseus Schiff ist, nimmt dieses Schiff die Planke in ihre Identit\u00e4t mit auf. Die Planke, die in Dock B gebracht wird hat nicht mehr die Identit\u00e4t, zu Theseus Schiff zu geh\u00f6ren, sie ist Ex-Bestandteil. Da die Anordnung auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt ist, sind die 100 Stunden der entscheidende Einspruch gegen Meinung 2.<\/p>\n

Was aber bringt uns dieses Problem, au\u00dfer einigem logischen Spa\u00df?
\nEs ist eine wichtige Grund\u00fcberlegung, wenn wir von der Identit\u00e4t des Menschen, oder auch nur unserer pers\u00f6nlichen Identit\u00e4t sprechen. Im Laufe von sieben Jahren \u00e4ndert sich komplett die Zellstrucktur eines jeden Menschen. Sind wir deshalb nicht mehr der selbe Mensch wie vor sieben Jahren? Auch Einstellungen, Wertvorstellungen, K\u00f6nnen und Wissen \u00e4ndern sich im Laufe des Lebens. Sind wir deshalb ein anderer geworden?<\/p>\n

————<\/p>\n

Dieser Text ist geschrieben nach dem Text „Das Schiff des Theseus – Eine Fallstudie“ von Jay F. Rosenberg aus dem Buch „Philosophieren – Ein Handbuch f\u00fcr Anf\u00e4nger“ erschienen im Vittorio Klostermann Verlag. Auch die erl\u00e4uternden Grafiken sind diesem entnommen. Ich habe mit meinen Worten versucht das Problem zu umrei\u00dfen, die Grundlage sind aber die \u00dcberlegungen, die Rosenberg anstellt. Im weiteren stellt Rosenberg Fragen der formalen Logik an die oben beschriebenen Meinungen und ich kann nur jedem empfehlen, den ganzen Text zu lesen.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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