{"id":1194,"date":"2007-03-06T00:35:33","date_gmt":"2007-03-05T22:35:33","guid":{"rendered":"http:\/\/philosophie.raphael-raue.de\/2007\/03\/06\/eine-rationale-rekonstrucktion-des-essays-moral-saint-von-susan-wolf\/"},"modified":"2007-03-06T00:35:33","modified_gmt":"2007-03-05T22:35:33","slug":"eine-rationale-rekonstrucktion-des-essays-moral-saint-von-susan-wolf","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/eine-rationale-rekonstrucktion-des-essays-moral-saint-von-susan-wolf\/","title":{"rendered":"Eine rationale Rekonstruktion des Essays "Moral Saint" von Susan Wolf"},"content":{"rendered":"

Ich habe f\u00fcr ein Seminar diese rationale Rekonstruktion geschrieben. Ich habe sie heute zur\u00fcckbekommen und noch lange mit dem Professor \u00fcber die Problematik geredet. Es ist nicht eindeutig, ob Susan Wolf eher auf ein internes oder ein externes Problem der Moral hinweist. In diesem Text versuche ich eine Mischung beidem aufzuzeigen, gehe aber st\u00e4rker auf das externe Problem ein. Ich habe ein paar Lesehinweise bekommen, wo ich nochmal n\u00e4her auf diese Problematik eingehen k\u00f6nnte, zwei Textstellen Kants und ein Aufsatz von Nagel. Ich habe mich aber dennoch entschlossen diesen Text schon hier zu posten, dann k\u00f6nnt ihr beim n\u00e4chsten eher den Denkprozess nachvollziehen. Den Originaltext kann man sich hier<\/a> als pdf anschauen. Das Original sollte zuerst gelesen werden, denn mein Text ist an Leser gerichtet, die den Text „Moral Saints“ gelesen und verstanden haben. Aber es ist nat\u00fcrlich kein Muss.<\/p>\n


\nSusan Wolf
\nMoral Saints
\nThe Journal of Philosophy<\/p>\n

Susan Wolf geht in ihrem Aufsatz \u201emoral saints\u201c der Frage nach ob der absolute Geltungsanspruch der Moral gerechtfertigt ist. Diese Frage untersucht sie, indem sie die Auswirkungen eines solchen absoluten Geltungsanspruchs der Moral darstellt. Sie entwirft das Bild eines Menschen, der die Moral immer, zu jeder Zeit, als den h\u00f6chsten Wert annimmt und auch danach handelt, ein \u201emoral saint\u201c also. Dabei ist keinesfalls die Frage entscheidend, ob wirklich ein Mensch dieses Ma\u00df der Moral erf\u00fcllen k\u00f6nnte, also ein \u201emoral saint\u201c sein k\u00f6nnte, sondern nur ob das w\u00fcnschenswert ist.
\nDas Problem, das Susan Wolf in ihrem Aufsatz behandelt ist also ein Problem der Geltung von Moral. Wie weit kann, wie weit darf oder wie weit sollte der Geltungsanspruch von Moral gehen. Einen Ausblick, jedoch einen unscharfen wird Susan Wolf geben. Wichtiger aber ist, wie sie zeigt, dass es nicht w\u00fcnschenswert ist, der Moral einen absoluten Geltungsanspruch zuzubilligen.
\nAnfangs der Argumentation legt Susan Wolf fest, was ihre Definition eines \u201emoral saints\u201c ist. Ein \u201emoral saint\u201c handelt immer so moralisch gut wie M\u00f6glich. Es muss zwei Arten von \u201emoral saints\u201c geben: den \u201eloving saint\u201c und den \u201erational saint\u201c. Der \u201eloving saint\u201c ist aus Liebe zu anderen Menschen so moralisch gut als m\u00f6glich, der \u201erational saint\u201c, weil er durch \u00dcberlegung zu dem Entschluss gekommen ist, aus Pflicht einer Moral folgen zu m\u00fcssen. Diese Aufteilung ist wichtig, denn diesen zwei \u201esaints\u201c werden unterschiedliche Probleme nachgewiesen werden.<\/p>\n

Doch noch vor aller logischen Untersuchung steht die Auskunft, wie dieses Problem \u00fcberhaupt entdeckt und somit zu einem Problem gemacht werden konnte. Die Vorstellung einer Person, die als \u201emoral saint\u201c zu bezeichnen w\u00e4re, birgt das Problem. Wenn man sich einen Menschen vorstellt, der die Eigenschaften hat, die notwendig einem \u201emoral saint\u201c innewohnen m\u00fcssen, entsteht ein Argwohn, ein Gesp\u00fcr, dass hier ein Problem liegen k\u00f6nnte. Denn ein \u201emoral saint\u201c m\u00fcsste ungemein h\u00f6flich, hilfsbereit, ruhig und barmherzig sein, k\u00f6nnte niemals ein schlechtes Wort \u00fcber jemanden sagen und w\u00fcrde auch seinen Humor immer frei von Werturteilen halten. Wer diese Beschreibung eines Menschen liest, der m\u00fcsse ahnen, so Wolf, das hier etwas nicht stimmen kann, das dieser Mensch nicht als unser Vorbild dienen w\u00fcrde. Es gibt also ein Problem.<\/p>\n

Und dieses Problem entsteht aufgrund des absoluten Geltungsanspruchs der Moral. So kann ein \u201emoral saint\u201c weder gute B\u00fccher lesen, ein Instrument spielen erlernen, eine Sportart betreiben, wert auf gutes Essen legen, noch Humor haben. Er m\u00fcsste jede Art von Kulturgut ablehnen. Kultur k\u00f6nnte keinen Wert haben, wenn es mit einem Wert der Moral kollidiert. Kulturwerte kollidieren aber in diesem strengen Sinne immer mit Moralwerten, denn immer kann argumentiert werden, dass in dieser Zeit des Lesens, Sport Treibens, ein Instrument Erlernens, moralisch besser w\u00e4re, anderen zu helfen.<\/p>\n

Es ist also die Kollision von Werten, die den \u201emoral saint\u201c zu einem \u201eLangweiler\u201c macht, mit dem niemand etwas anfangen k\u00f6nnte. Aber nicht, weil wir alle so schlechte Menschen sind, dass uns der Neid den \u201emoral saint\u201c als \u201eLangweiler\u201c bezeichnen l\u00e4sst, sondern weil ein \u201emoral saint\u201c keinerlei gesellschaftliche Werte, wie Kultur und Humor h\u00e4tte, so sie der Moral entgegenstehen.<\/p>\n

Um dies besser zu verdeutlichen vergleicht Susan Wolf den \u201e moral saint\u201c mit einem Leistungschwimmer, der f\u00fcr Olympia trainiert und diesem Ziel \u00e4hnlich dem \u201emoral saint\u201c unterordnet. Der Unterschied ist, dass f\u00fcr den Leistungschwimmer andere Werte nicht ihren Wert v\u00f6llig verlieren, wie Musik machen, B\u00fccher lesen oder \u00e4hnliches. Er ordnet sie nur tempor\u00e4r dem Ziel Olympia unter. Beim \u201emoral saint\u201c verlieren aber alle Werte ihren Wert, so sie mit der Moral kollidieren.<\/p>\n

Gemeint ist also sowohl eine zeitliche Kollision, also auch eine Kollision der Werte, gemeint, dass ein Wert einen anderen Ausschlie\u00dft.<\/p>\n

Da aber alle Werte, die Charakterbildend sind mit der Moral kollidieren muss ein \u201emoral saint\u201c abstumpfen. Denn nicht nur der Kultur wird kein Wert beigemessen, auch sich selbst kann der \u201emoral saint\u201c keinen Wert zugestehen. Denn absolut altruistisch wie er ist, denkt er an andere, immer, also nie an sich selbst.<\/p>\n

Wer aber keinen Charakter ausbilden kann, wird auch nicht gl\u00fccklich. Wie auch immer dieses Gl\u00fcck aussieht. Gl\u00fccklich sein setzt aber ein \u201eIch\u201c, welches sein \u201eGl\u00fcck\u201c realisieren kann, voraus.<\/p>\n

Das genau aber ist das Problem der Figur \u201eloving saint\u201c, denn er hat sich aus rationalen Gr\u00fcnden f\u00fcr den Weg des \u201eloving saint\u201c entschieden. Er k\u00f6nnte diese Entscheidung aber nicht rational begr\u00fcnden, wenn er dieses Gedankenexperiment auch angestellt h\u00e4tte. Kann er sich aber nicht mehr rational rechtfertigen, bricht also der Grund ein \u201emoral saint\u201c zu sein weg, kann er nur noch als Fanatiker weiter \u201emoral saint\u201c sein. Das aber ist sicher nicht w\u00fcnschenswert.<\/p>\n

Der \u201eloving saint\u201c jedoch hat, wie eingangs erw\u00e4hnt, ein anderes Problem. Er kann aus aller Liebe sich aufzugeben wollen um nur dem Gl\u00fcck anderer zu diene, er muss sein Gl\u00fcck nicht wollen, so wie es der rational saint schon muss, da er noch andere Werte gekannt hat bevor er \u201emoral saint\u201c wurde. Der \u201eloving saint\u201c aber hat das Problem, dass auch er seine Grundlage verliert, seine Liebe zu anderen Menschen. Denn er kann nicht andere Lieben, wenn er keinen Charakter hat, ja sich selbst sogar verachtet. Auch ihm wird der Grund ein \u201emoral saint\u201c zu sein logisch entzogen und er k\u00f6nnte nur als Fanatiker weiter ein \u201emoral saint\u201c sein.<\/p>\n

All diese \u00dcberlegungen stellt Susan Wolf im Hinblick auf den \u201ccommon sense\u201c an, also die allgemeinen westlichen Vorstellungen von der Moral. Sie untersucht allerdings auch noch den Utilitarismus und die kantische Moral. Ich k\u00fcrze hier allerdings ab, da die Argumente in der Abhandlung des \u201ecommon sense\u201c alle vorkommen. Es soll lediglich noch gezeigt werden, dass das Problem nicht nur entsteht, weil der \u201ecommon sense\u201c ein zu undifferenziertes Moralsystem ist. Die selben Probleme tauchen auch beim Utilitarismus und bei einem Kantianer auf.<\/p>\n

Noch einmal kurz zusammengefasst, problematisiert Susan Wolf in ihrem Aufsatz den absoluten Geltungsanspruch der Moral. Dabei steht nicht die Untersuchung im Fokus, ob Moralsysteme diesen Anspruch haben, das wird vorausgesetzt, sondern die Auswirkungen eines solchen Anspruches. Wie w\u00e4re ein Mensch, der immer so moralisch gut wie M\u00f6glich handeln w\u00fcrde und w\u00e4re es w\u00fcnschens-, bzw. erstrebenswert ein solcher Mensch zu werden. Sie zeigt, dass es ein \u201emoral saint\u201c nicht w\u00fcnschenswert ist. Denn es gebe noch andere Werte, dem der Mensch Wert zuschreibt und die Wichtig f\u00fcr die Charakterbildung sind, die aber keiner moralischen Wertung unterstehen. Susan Wolf argumentiert also gegen einen absoluten Geltungsanspruch der Moral.<\/p>\n

Im weiteren will ich in einem Satz den Denkansto\u00df Susan Wolfs f\u00fcr eine Aufl\u00f6sung des Problems darstellen und dann eigene kritische \u00dcberlegungen anf\u00fchren.<\/p>\n

Ohne in diesem Aufsatz ihre Theorie weiter auszuf\u00fchren, gibt Susan Wolf einen Ausblick f\u00fcr dieses Dilemma. Der Mensch k\u00f6nne intuitiv entscheiden wann etwas moralisch zu beurteilen sei und wann nicht.<\/p>\n

Hier will ich ankn\u00fcpfen, kurz nur im Bezug auf den Theorieansatz Susan Wolfs. Ich denke, dass es nicht ausreichen wird, diesem Problem Herr zu werden, indem man dem Menschen die intuitive Kompetenz zu spricht, schon zu wissen, wann etwas moralisch zu beurteilen und wann nicht. Nicht nur, das diese Kompetenz nur sehr schwer nachweisbar w\u00e4re, sondern vor allem sehe ich ein Problem in der Austauschbarkeit, der Zuf\u00e4lligkeit im Umgang mit diesen normativen Aussagen. Auch wenn es keine moralischen Urteile sind, so m\u00fcssen sie doch einen Wertanspruch haben, um sich auch gegen die Moral abzugrenzen. Normative Anspr\u00fcche sind aber immer zu rechtfertigen.<\/p>\n

Aber auch sonst entstehen Probleme bei der Differenzierung der gegen\u00fcberstehenden Wertsysteme: Moral einerseits, Charakter- und Kulturwerte andererseits. Wo kann man die Grenze ziehen, zwischen diesen beiden Anspr\u00fcchen? Wie weit darf die Moral in ihrem Anspruch zur\u00fcckgedr\u00e4ngt werden ohne, dass es unmoralisch werden. Und was ist \u00fcberhaupt ein Ma\u00dfstab daf\u00fcr?<\/p>\n

Es m\u00fcsste ja ein Wert gefunden, bzw. konstruiert werden, der h\u00f6her als der moralische und der \u201eCharakter und Kultur\u201c Anspruch ist. Denn nur dieser h\u00f6here Wert k\u00f6nnte bestimmen, wo genau die Grenze zwischen den Wertanspr\u00fcchen liegt. Was aber soll eine Grundlage dieses Wertes sein. Es kann nicht mehr der Mensch als soziales bzw. moralisches Wesen sein, was oft zumindest als Grundgedanke f\u00fcr Theorien gedient hat. Der Mensch als eine Mischung aus moralischem und sozialen Wesen ist aber eine sehr schwammige Grundlage.<\/p>\n

Das Problem, das Susan Wolf aufgezeigt hat, wirft also wiederum eine Menge Fragen auf. Fragen, die sicherlich nicht aus dem Stegreif zu beantworten sind und die einer Pr\u00fcfung bed\u00fcrfen. Diese sprengt aber den Rahmen dieses Textes. Wichtig festzuhalten ist aber, dass der absolute Geltungsanspruch der Moral ein Problem enth\u00e4lt, ein philosophisches Problem, das entscheidend f\u00fcr die Bestimmung eines \u201eguten\u201c Lebens ist, bzw. f\u00fcr die Voraussetzung eines solchen.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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