{"id":1117,"date":"2010-02-09T19:32:05","date_gmt":"2010-02-09T17:32:05","guid":{"rendered":"http:\/\/www.onezblog.de\/?p=1117"},"modified":"2010-02-09T19:32:05","modified_gmt":"2010-02-09T17:32:05","slug":"die-philosophie-ist-zynisch","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/raue.it\/gesellschaft\/die-philosophie-ist-zynisch\/","title":{"rendered":"Die Philosophie ist zynisch"},"content":{"rendered":"

\"nietzsche\"
\nPhilosophen sind das zynische Gewissen jeder Gesellschaft. Das ist nicht ihr Selbstverst\u00e4ndnis, sondern wird ihnen angetragen. Dass diese Festschreibung aber nicht ganz fern liegt, liegt am Selbstverst\u00e4ndnis der Philosophie, die sich selbst immer als kritische Wissenschaft versteht. Es ist viel unternommen worden, um diese Selbsteinsch\u00e4tzung argumentativ einzuholen. Mehr oder weniger erfolgreich. Meiner Meinung nach ist dieses Selbstverst\u00e4ndnis aber das Resultat des notwendig zynischen Umgangs eines Philosophen mit der Philosophie. Dieser notwendig zynische Umgang kann eventuell wieder der Philosophie bzw. ihrem Forschungsbereich innegelegt werden. Aber um diesen Schritt will ich mich hier nicht k\u00fcmmern.<\/p>\n

Philosoph zu sein ist eine komische Angelegenheit, die mit nichts anderem vergleichbar ist, das ich in meinem noch recht jungem Leben kennengelernt habe. Die Zuschreibung \u201cIch bin ein Philosoph\u201d ist nie alleine zu machen. Immer muss man dieser Beschreibung einen kritischen Zusatz mit beigeben, ansonsten wird es nicht akzeptiert. Weder durch andere \u201cPhilosophen\u201d noch von sich selbst. „Ich bin Philosoph“ ist ein Paradox, auf das Heidegger bspw. reagiert hat, indem er sich in sp\u00e4teren Jahren nur noch ablehnend dazu verhalten hat und sich \u201cDenker\u201d genannt hat. Man kann jetzt in seinem Werk Gr\u00fcnde daf\u00fcr suchen, denn diese sind sicher zahlreich vorhanden, aber ich m\u00f6chte gerne einen pers\u00f6nlicheren Weg gehen.<\/p>\n

Nur Philosophie zu betreiben ist nach einigen kritischen Wenden des 20. Jahrhunderts eigentlich nicht mehr m\u00f6glich. Man m\u00fcsste sich als Handwerker der Philosophie verstehen, w\u00fcrde sich immer selbst mit dem Vorwurf der Tautologie konfrontiert sehen. Philosoph zu sein ist ein gewisser methodischer Zugang, \u00fcber die Philosophie selbst aber kann man damit dennoch kaum etwas aussagen. Ich betreibe Philosophie bedeutet, dass man sich philosophisch mit etwas anderem besch\u00e4ftigt. Damit meine ich nicht die willk\u00fcrlich gewachsene Einteilung in verschiedene Wissenschaften, sondern dem Wegfall der Besch\u00e4ftigung mit klar umrissenen Entit\u00e4ten, wie es vielleicht bisKant noch \u00fcblich war. Da will ich mich geschichtlich nicht unbedingt festlegen. Aber heutePhilosophie zu betreiben hei\u00dft vor allem auf Fragen des Lebens zu antworten. Das mag in der anglo-amerikanischen Welt noch anders aussehen, aber dass w\u00fcrde ich hier gerne ausblenden. Die Frage des Sinns des Lebens wird von mir \u00fcbrigens nicht darunter gez\u00e4hlt. Das ist keine Frage, der man sich meiner Meinung nach noch philosophisch n\u00e4hern kann. Wer Sinn sucht, wird in der Philosophie scheitern, da Sinn immer Entscheidung und nicht Unterscheidung bedeutet. Will ich Sinn muss ich mich irgendwann entscheiden, worin dieser liegen soll. Unterscheidungen werden mit l\u00e4ngerer Untersuchung immer komplexer und somit eher sinnlos in Bezug auf einen pers\u00f6nlichen Sinn. Sie zeigen, dass jede Erkenntnis eher von mir pers\u00f6nlich wegf\u00fchrt, als dort hinf\u00fchrt, so der Erkenntnisstrang nicht abgew\u00fcrgt wird: die Entscheidung.<\/p>\n

Wenn ich sage, dass die Philosophie sich nur sinnvoll selbst auf sich selbst beziehen kann, wenn sie die Fragen des Lebens ins Blickfeld nimmt, dann meine ich, dass Fragen der Antropologie, Fragen der Ethik, Fragen der Kultur und Gesellschaft fragen nach Entit\u00e4ten abgel\u00f6st haben. Eine Philosophie ohne einen Begriff von und Bezug auf Lebenswelt ist sp\u00e4testens seit dem sp\u00e4ten Wittgenstein, ich meine schon seit Hegel, nicht nur sinnlos und leer, sondern vor allem nicht mehr ihrem Selbstverst\u00e4ndnis entsprechend; eben nicht mehr kritisch. Hier bei\u00dft sich die Katze in den Schwanz. Das Paradigma des kritischen ist der Philosophie so innewohnend, dass Philosophie studieren immer auch bedeutet einen gewissen Zynismus zu lernen.<\/p>\n

Alles ist Quatsch, \u00fcberall lauern Kategorienfehler und Verk\u00fcrzungen von Komplexit\u00e4t. Jedes Sprachspiel enth\u00e4lt Fehler und kaum einem Diskurs wird Rechnung getragen. Kurz, man wird als ernster Philosoph von genau dem Bereich, der zur Untersuchung festgeschrieben ist, weggetrieben. Zynismus ist die Unf\u00e4higkeit sich positiv auf das was ist zu beziehen. Und genau hier setzt das philosophische Denken ein und weist dem Satz jede Menge Fehler nach. Philosoph zu sein ist im Grunde die Unf\u00e4higkeit sich entscheiden zu k\u00f6nnen, denn gute gr\u00fcnde erfordern Urteilskraft und diese ist in ihrem kreativen Moment unendlich.<\/p>\n

Als Student der Philosophie ist man also irgendwann vor die Aufgabe der einzigen Entscheidung gestellt, die die Philosophie bereitzuhalten scheint: Analytiker und somit Handwerker der Philosophie oder Hermeneutik und somit einerseits Kreativer und andererseits Quatschkopf.<\/p>\n

Die Verbindung dieser beiden Positionen ist zwar immer schon Habitus deutscher Philosop0hie gewesen, aber dazu wird nicht angeleitet. Es scheint doch immer so zu sein, als gebe es nr eine der beiden Argumentationsklassen und ein \u00dcbertrag wird immer angekreidet. Das Witzige daran ist, dass dies nahezu jeden Studenten ungemein auf die N\u00fcsse geht, aber sobald der Student dann in Promotion oder Mitarbeiterstatus gehoben ist, scheint die Abkehr auf mysteri\u00f6se Art und Weise vollzogen zu sein. Damit soll nicht plump ausgedr\u00fcckt zu sein, dass Mitarbeiter ihre Wurzeln vergessen. Es soll noch nicht einmal eine Kritik daran formuliert werden, sondern mich w\u00fcrde schlicht interessieren, warum das so ist.<\/p>\n

Wenn ich mir vorstelle, diese Entscheidung treffen zu m\u00fcssen, dann mache ich doch lieber etwas anderes. Denn wenn schon Begrenzung um des Zieles willen, dann doch bitte funktional konsequent und mit richtigem Gehalt. Denn wenn der Professorenstatus nicht erreicht wird, war die Entscheidung so schade wie verheerend.<\/p>\n

Zu leben ist immer eine Einschr\u00e4nkung von M\u00f6glichkeiten, aber der Preis sollte einem Bewusst sein. Leider ist dieses Bewusstsein das eines Zynikers.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Philosophen sind das zynische Gewissen jeder Gesellschaft. Das ist nicht ihr Selbstverst\u00e4ndnis, sondern wird ihnen angetragen. Dass diese Festschreibung aber nicht ganz fern liegt, liegt am Selbstverst\u00e4ndnis der Philosophie, die sich selbst immer als kritische Wissenschaft versteht. Es ist viel unternommen worden, um diese Selbsteinsch\u00e4tzung argumentativ einzuholen. Mehr oder weniger erfolgreich. Meiner Meinung nach ist […]<\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":[],"categories":[3],"tags":[677,354,39,209],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1117"}],"collection":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=1117"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/1117\/revisions"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=1117"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=1117"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/raue.it\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=1117"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}