Ich möchte euch nach „Auf der anderen Seite“ einen weiteren Film von Fatih Akin vorstellen. Das Drehbuch für „Solino“ stammt allerdings nicht von Akin sonder entstammt der Feder von Ruth Tomas, was man dem Film anmerkt, spielt doch eine italienische Familie die Hauptrolle und nicht, wie gewohnt von Akin, eine türkisch-deutsche. Die Probleme des Filmes sind aber dennoch die tiefgründigen Probleme, die Akin in allen seinen Filmen anspricht: entwurzelte Heimat und die Verworrenheit des kulturellen Miteinanders.
Akin setzt wie immer auf hervorragende Schauspieler und hat mit Moritz Bleibtreu sogar einen Star des deutschen Kinos gewinnen können. Man kann Bleibtreu mögen oder nicht, in diesem Film spielt er großartig und wird ergänzt von Barnaby Metschurat, Gigi Savoia und Patrycia Ziolkowska. Es ist immer schwierig einen so ruhigen Film zu besetzen, aber die unaufdringliche Art aller Darsteller lässt dem Zuschauer den Raum, um sich den Problemen des Filmes so nähern zu können, wie Akin diese zeichnet: unaufgeregt.
Die Familien Amato wandert in den 60er Jahren nach Duisburg ins Ruhrgebiet aus. Der Ruf des deutschen Wirtschaftswunders und die Mangelnde Perspektive in ihrem italienischen Heimatort Solino ziehen vor allem den Vater Romano Amato nach Deutschland. Seine Frau Rosa und die beiden Söhne Gigi und Giancarlo sind skeptisch, wollen nicht weg aus der ihnen bekannten Umgebung, beugen sich aber dem Familienoberhaupt. Doch die Arbeit unter Tage im Kohleabbau ist Romano zu schmutzig, zu hart und so eröffnet die Familie in ihrer Straße eine Pizzeria. Anfangs gedacht für all die jungen Italiener, die heimatliches Essen vermissen, entwickelt sich die Pizzeria blendend und zieht auch immer mehr Deutsche ins Lokal. Die Söhne wachsen auf, werden älter und verlieben sich in das selbe Mädchen, ziehen mit ihr in eine Wohngemeinschaft, weil der Vater sie rausschmeißt. Der Vater betrügt die Mutter und die Mutter geht zurück nach Italien. Die Mutter wird krank, Gigi, der mittlerweile mit der von beiden Brüdern geliebten Jo zusammen ist, geht zurück nach Italien um seine Mutter zu pflegen. Gigi gewinnt daraufhin mit einem Film bei den Ruhrfestspielen, doch wird er von Giancarlo gelinkt, der auch einmal im Rampenlicht stehen möchte. Gigi bleibt zunächst verzweifelt in Italien und heiratet später dann seine Jugendliebe. Zur Hochzeit lädt er Bruder und Vater ein. Der Vater kommt nicht, doch der Bruder stellt sich der Vergangenheit.
Die Geschichte ist nicht sonderlich interessant, weswegen ich sie so kurz wie möglich hier dargestellt habe. Interessanter sind die vielschichtigen Probleme, die dieser Film anspricht, ohne irgendwelche Lösungen anzubieten. Das ist das herrliche an Akins Filmen, er lässt die Moralkeule immer beim Zuschauer, den er alleine lässt mit dem Konflikt der Moral und der Menschlichkeit.
Ich möchte aus den vielen Problemen eines herausgreifen. Generationenkonflikte, Heimatlosigkeit und die ewige Konkurrenz der Geschwister lasse ich beiseite und verweise auf den Film, den ich euch ans Herz lege, auch wenn es ein Film ist, der Aufmerksamkeit fordert um ihn nicht langweilig zu finden.
Das interessanteste Problem des Filmes habe ich zwischen den Sequenzen gesehen. Es ist ein aktuelles Problem und wird leider sicher noch sehr viele Jahre, Jahrzehnte, hoffentlich keine Jahrhunderte ein Problem darstellen. Es geht um Stereotypen und Vorurteile. Der Film ist auf den ersten Blick sehr vorurteilsbeladen und wüsste man nicht, dass Fatih Akin den Film gedreht hat, könnte man gerade in der ersten Hälfte des Films vermuten, dass hier jemand latent versucht mir als Zuschauer Vorurteile über Italiener einzuflüstern. Der Film bestätigt so ziemlich jedes Klischee, das ich über Italiener kenne, aber nicht in einer plump plakativen Art und Weise, so dass es direkt als die Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenkender Plot verstanden wird. Die Vorurteile werden so beiläufig bedient, dass es ungemein natürlich aussieht. Als sei es so, dass mindestens einer von vier Italienern klaut, der italienische Vater immer Macho und die Mütter immer auf Schönheit und gute Kochkünste reduziert würden. Als würden Konflikte von Italienern nur durch Gewalt gelöst. Ja selbst Gigi, der feinfühlige und diesem Klischee nicht ganz entsprechen wollende, wird immer wieder hineingezogen, mit einbezogen in die Welt des Vorurteils.
Vorurteile werden nicht diskutiert in Solino, sie werden auch nicht als Konfliktsituation dargestellt. Sie werden gezeigt, wie sie sind: einfach da und schwer loszuwerden. Denn spätestens als zum Ende des Films die vorurteilsbeladene Fassade bröckelt, muss man sich als Zuschauer fragen, wie weit man denn die Stigamtisierung mitgegangen ist, wie weit man dies denn als wirklich angenommen, hingenommen und deshalb nicht weiter beachtet hat.
Solino entlarvt uns. Vorurteile tragen wir alle mit uns herum und für die meisten haben wir „gute“ Begründungen.
Schaut euch doch nur mal einen der berühmten Mafiafilme an. Klischee über Klischee wird von uns bejubelt als realistische Darstellung.