Ich bin heute bei meiner Luhmannlektüre auf einen interessanten Gedanken gestoßen, der mir auch schon bei Hegel aufgefallen ist. Es geht um die Frage, ob Gesellschaften dem Code gut/schlecht unterworfen werden können, also um die Frage, ob eine Gesellschaft moralisch bewertet werden kann. Beide Denker verneinen mit dem Verweis darauf, dass Gesellschaften erst die Grundlage für eine solche Beurteilung bereitstellen. Dieser Verweis auf die Ursächlichkeit bei Luhmann bzw. die Notwendigkeit in der Argumentation bei Hegel will zeigen, dass eine solche Beurteilung grundlegend falsch ist, einen Kategorienfehler begeht.
Ohnehin ist die Gesellschaft kein möglicher Gegenstand moralischer Bewertung; und erst recht wäre es absurd, diejenigen, die die moderne Gesellschaft für gut halten, deswegen für schlecht zu halten; oder diejenigen, die die Gesellschaft kritisch ablehnen, deswegen zu achten. Das sind im Grunde nur Denkfhler, die leicht zu vermeiden sind, denn die Gesellschaft als das umfassende System aller Kommunikation ist weder gut noch schlecht, sondern nur die Bedingung dafür, daß etwas so bezeichnet werden kann.
Luhmann, Niklas: Die Moral der Gesellschaft. Suhrkamp Taschenbuchverlag. Frankfurt/Main 2008. S. 265.
Bei Hegel ist es eher ein Verweis auf die logische Konsistenz, die verhindert, dass es sinnvoll sein könne, sich außerhalb der Notwendigkeit des Vorhandenseins der Gesellschaft zu stellen, um diese dann zu bewerten. Man nehme sich damit die begrifflich sowie notwendige Grundlage einer Bewertung. Einfach gesagt, fehlen die Begriffe der Beurteilung.
Diese Erkenntnis, die einige Möglichkeiten der kritischen oder politischen Theorie für sinnlos erklärt, führt aber keineswegs zur Unmöglichkeit gesellschaftliche Missstände zu benennen oder zu bewerten. Aber Gesellschaft als ganzes ist nicht zu bewerten, sondern Institutionen und Handlungen. „Ist die globalisierte Gesellschaft moralisch gut?“, ist also keine sinnvolle Frage und müsste umformuliert werden in eine Form wie folgende: „Ist die Institution Globalisierung moralisch gut?“
Man mag einwenden, dass dies keine grundlegend andere Frage ist. Aber der Fokus und somit die Grundlagen sind andere. Will man die Gesellschaft als ganze bewerten, fehlt die Grundlage, begrifflich wie kommunikativer Art. Schaut man sich die Globalisierung aber als Institution oder auch Prozess an, dann müssen die Grundlagen zunächst herausgearbeitet werden. Eine einfache Bewertung fällt somit weg und eine Differenzierung setzt ein. Es reicht nicht mehr festzustellen, dass irgendetwas schlecht ist und durchaus feststellbar ist, dass eine gewisse Institution, hier die Globalisierung, dafür ursächlich ist, sondern die Institution muss als ganzes beobachtet und erst dann beurteilt werden. Und das ohne gleich die ganze Gesellschaft in den Blick zu nehmen, denn das würde einzig zur Unmöglichkeit der Bewertung führen.