Endlich wieder Amoklauf! Das scheinen sich gerade viele Menschen zu denken. Meint ihr denn wirklich, dass dieses Erschrecken und die noch ekligeren Mitleidsbekundungen irgendjemandem helfen? Dass ich Freunde und Familien der Getöteten von Winnende dadurch besser fühlen, vor allem wenn sie erkennen, dass sich Geschichte in solchen Fällen wiederholt. Die selben Floskeln und Forderungen erneut aus der Mottenkiste geholt, in zwei Wochen wieder in dieser verschwinden werden, nur um dann beim nächsten Amoklauf wieder herausgeholt zu werden.
Ich verstehe, dass Medien darüber berichten müssen und es von Politikern erwartet wird, dass auch sie etwas dazu sagen. Aber doch nicht so einen unreflektierten Scheiß, dem man gerade nicht entkommt und bei dem man wirklich nochmal nachgoogelt, ob dies nicht vielleicht doch der erste Amoklauf in Deutschland gewesen sein mag.
Dieses Gesabbel um gewalttätige Computerspiele einerseits, der Verharmlosung von Waffenbesitzt ohne jeglichen Grund andererseits und dem Spiel mit der Angst vor allem, was man nicht versteht, geht mir so dermaßen auf den Zeiger, dass mir hier nur unflätige Worte dazu einfallen. Da werden ehemalige Mitschüler befragt und der Mist von denen auch noch abgedruckt, ganz so als würde man sich an jeden Erklärungsstrohalm festhalten wollen.
Warum sagt nicht einer Mal, dass diese ganze Scheiße zu unserer Gesellschaft dazu gehört ohne ihr gleich die alleinige und verantwortungsvernichtende Schuld daran zu geben? Das man sich noch so anstrengen kann alles zu sektieren um es abzugrenzen und in den Bereich des anormalen zu packen, es aber nur allzu offensichtlich ist, dass hier jemand mit sich und der Gesellschaft nicht klar gekommen ist, und sowohl gegen sich als auch gegen andere Gewalt eingesetzt hat. Früher hat man sich dann eben ruhig und melancholisch die Kugel gegeben, alles wurde jemandem angehaftet und gut war es. Drüber haben im Film „Club der Toten Dichter“ Millionen Menschen geweint und dieser Schmerz erscheint mir ehrlicher, als das, was hier passiert. Über einen Film kann man reden, vor allem, wenn er England statt Deutschland und eine vergangene Zeit zeigt. Warum aber kann man nicht über hier und jetzt genauso reden?
Ist es so schwer einzusehen, dass Leistungsdruck und mangelnde Bereitschaft auch den anderen zus ehen nicht nur ihr gutes haben? Das Bruttoinlandsprodukt ist nicht der einzige Wert, an dem man den Fortschritt und das Glück einer Gesellschaft misst. Lasst uns doch mal darüber reden, dass immer weniger Menschen Kinder haben wollen und dtrotzdem viele von diesen welche bekommen. Lasst uns doch mal darüber reden, dass Betreuung nicht nur in der Unterschicht über Fernseher abgedeckt werden. lasst uns doch mal darüber reden, dass das Internet nur manifestiert, was die Gesellschaft schafft. Ja unsere! Lasst uns doch mal über zu große Klassen in Schulen reden und die Bereitschaft für Bildung auch fern der Eliten Geld in diesem Land auszugeben. Lasst uns doch mal reden über Integration, die oft genug einzig in der Assimilation gesehen wird und so Druck aufbaut. Über Leistungszwang, der die eingebläute Disziplin von damals ersetzt hat, aber nicht minder aggressiv mach, wenn man da nicht reinpassen möchte.
Ach, wir müssten über so vieles reden und ich geh mir schon selbst auf den Sack, dass auch ich hier nur die offensichtlichsten Probleme anspreche. Denn eigentlich müssten wir erstmal klären, was für eine Gesellschaft wir haben wollen, bevor wir an ihr herumdoktorn. Aber das tut weh und wird öffentlich höchstens mal im Feuilleton getan, wenn mal wieder irgendwo „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ gespielt wird. Vielleicht wollen wir auch keine andere Gesellschaft, aber dann sollen wir bei solchen Tragödien auch nicht so tun. Denn eine geheuchelte Gesellschaft kann nicht einmal der Heuchler wollen.
Kommentare
Dass das zu unserer Gesellschaft dazu gehört, da gebe ich dir ganz recht. Und diejenigen, die da jetzt Kerzen aufstellen und die Opferrolle prima spielen, sollten sich fragen, welchen Teil sie dazu beigetragen haben. Was ist denn mit denen, die den Typen gemobbt haben? Die Lehrerin, die gedankenlos formulierte, er würde doch eh bei der Müllabfuhr landen… ich finde es scheinheilig, wenn man so tut, als wäre das alles „irgendwie“ passiert. Jeder dort in Winnenden, der mit dem Tim zu tun gehabt hat, trägt ein Scherflein dazu bei, was dort passiert ist. Meine Meinung. Doch die Leute werden sich kaum selbst eingestehen wollen, dass der Angeber, der immer ein neues Handy hatte, nur hoffnungslos versucht hat, dabei sein zu wollen. Die, die auf ihn draufgetreten haben, sollten Interviewverbot kriegen, und man sollte ihnen die Hände abschneiden, wenn sie Kerzen aufstellen wollen. Das ist echt ekelhaft, wenn die sich dann als moralisch Unschuldige fühlen, wo sie ganz viele Flecken auf der persönlichen Weste tragen.
Stattdessen wird dann der Sündenbock woanders gesucht.
[…] http://www.onezblog.de […]
Statt ihnen die Hände abzuschneiden, solltest du vielleicht mit ihnen reden und die hier geäußerten Gedanken ausprechen!
Der Artikel spricht mir aus der Seele.
Dein Wort in Angelas Mund. Soll keine Beleidigung sein. Nur dann hörten es vielleicht auch unsere vielen lieben Bild Leser und welche die vielleicht nur vor der Glotze hocken! 😉
Ich werd ihnen ganz bestimmt nicht die Hände abschneiden. Das war nur bildlich gesprochen. 😉 Die können gerne so viele Kerzen aufstellen, wie nur eben möglich, müssen sich aber nicht wundern, wenn sie von manchem nur müde belächelt werden oder ihre Wünsche nach Mitleid nicht überall Gehör finden werden.
Natürlich sind dort viele entsetzt, aber die wenigsten denken darüber nach, wie sie eigentlich selbst darin verstrickt waren. Gestern im ZDF hieß es in den Tagesthemen in der Fußballpause, man solle keine Schuldbekundungen machen. Warum eigentlich nicht?! Außerdem meinte Frau Slomka, dass man wie in den anderen Fällen nicht auflösen könne, was eigentlich das Motiv sei und warum solche schrecklichen Dinge überhaupt passierten. Nun, wenn wir uns den menschlichen Organismus als biologischen Computer vorstellen und der Tim K. nur so Input bekommen hat, wird man wissen, warum irgendwann der Bluescreen (o. D.) erschien. Der Junge war schon in psychiatrischer Behandlung und keiner hat das sehen wollen? Wenn der Typ gerade wegen des Mobbings in die Klinik ging und die Leute drumherum nichts tun, um das abzustellen – wie will man dann eine Besserung erzielen? Wahrscheinlich aber hat diese Tatsache bei manchen nur dazu geführt, dass sie gedacht haben: Jetzt erst recht, nach dem Motto: Na siehste, wir haben’s doch immer gewusst, er ist krank.
Jeder von denen geht zum Arzt, wenn ihm nicht gut ist und will, dass ihm geholfen wird, aber in solchen Fällen ist dann natürlich alles anders. Ich finde das a-sozial.
[…] Raphael auf onezblog […]
„Warum sagt nicht einer Mal, dass diese ganze Scheiße zu unserer Gesellschaft dazu gehört ohne ihr gleich die alleinige und verantwortungsvernichtende Schuld daran zu geben?“
Genau das bringt es auf den Punkt!!!!!!!!!!!
Aber es liegt ja in der Natur des Menschen immer die Fehler bei anderen zu suchen!