Ich habe für ein Seminar diese rationale Rekonstruktion geschrieben. Ich habe sie heute zurückbekommen und noch lange mit dem Professor über die Problematik geredet. Es ist nicht eindeutig, ob Susan Wolf eher auf ein internes oder ein externes Problem der Moral hinweist. In diesem Text versuche ich eine Mischung beidem aufzuzeigen, gehe aber stärker auf das externe Problem ein. Ich habe ein paar Lesehinweise bekommen, wo ich nochmal näher auf diese Problematik eingehen könnte, zwei Textstellen Kants und ein Aufsatz von Nagel. Ich habe mich aber dennoch entschlossen diesen Text schon hier zu posten, dann könnt ihr beim nächsten eher den Denkprozess nachvollziehen. Den Originaltext kann man sich hier als pdf anschauen. Das Original sollte zuerst gelesen werden, denn mein Text ist an Leser gerichtet, die den Text „Moral Saints“ gelesen und verstanden haben. Aber es ist natürlich kein Muss.


Susan Wolf
Moral Saints
The Journal of Philosophy

Susan Wolf geht in ihrem Aufsatz „moral saints“ der Frage nach ob der absolute Geltungsanspruch der Moral gerechtfertigt ist. Diese Frage untersucht sie, indem sie die Auswirkungen eines solchen absoluten Geltungsanspruchs der Moral darstellt. Sie entwirft das Bild eines Menschen, der die Moral immer, zu jeder Zeit, als den höchsten Wert annimmt und auch danach handelt, ein „moral saint“ also. Dabei ist keinesfalls die Frage entscheidend, ob wirklich ein Mensch dieses Maß der Moral erfüllen könnte, also ein „moral saint“ sein könnte, sondern nur ob das wünschenswert ist.
Das Problem, das Susan Wolf in ihrem Aufsatz behandelt ist also ein Problem der Geltung von Moral. Wie weit kann, wie weit darf oder wie weit sollte der Geltungsanspruch von Moral gehen. Einen Ausblick, jedoch einen unscharfen wird Susan Wolf geben. Wichtiger aber ist, wie sie zeigt, dass es nicht wünschenswert ist, der Moral einen absoluten Geltungsanspruch zuzubilligen.
Anfangs der Argumentation legt Susan Wolf fest, was ihre Definition eines „moral saints“ ist. Ein „moral saint“ handelt immer so moralisch gut wie Möglich. Es muss zwei Arten von „moral saints“ geben: den „loving saint“ und den „rational saint“. Der „loving saint“ ist aus Liebe zu anderen Menschen so moralisch gut als möglich, der „rational saint“, weil er durch Überlegung zu dem Entschluss gekommen ist, aus Pflicht einer Moral folgen zu müssen. Diese Aufteilung ist wichtig, denn diesen zwei „saints“ werden unterschiedliche Probleme nachgewiesen werden.

Doch noch vor aller logischen Untersuchung steht die Auskunft, wie dieses Problem überhaupt entdeckt und somit zu einem Problem gemacht werden konnte. Die Vorstellung einer Person, die als „moral saint“ zu bezeichnen wäre, birgt das Problem. Wenn man sich einen Menschen vorstellt, der die Eigenschaften hat, die notwendig einem „moral saint“ innewohnen müssen, entsteht ein Argwohn, ein Gespür, dass hier ein Problem liegen könnte. Denn ein „moral saint“ müsste ungemein höflich, hilfsbereit, ruhig und barmherzig sein, könnte niemals ein schlechtes Wort über jemanden sagen und würde auch seinen Humor immer frei von Werturteilen halten. Wer diese Beschreibung eines Menschen liest, der müsse ahnen, so Wolf, das hier etwas nicht stimmen kann, das dieser Mensch nicht als unser Vorbild dienen würde. Es gibt also ein Problem.

Und dieses Problem entsteht aufgrund des absoluten Geltungsanspruchs der Moral. So kann ein „moral saint“ weder gute Bücher lesen, ein Instrument spielen erlernen, eine Sportart betreiben, wert auf gutes Essen legen, noch Humor haben. Er müsste jede Art von Kulturgut ablehnen. Kultur könnte keinen Wert haben, wenn es mit einem Wert der Moral kollidiert. Kulturwerte kollidieren aber in diesem strengen Sinne immer mit Moralwerten, denn immer kann argumentiert werden, dass in dieser Zeit des Lesens, Sport Treibens, ein Instrument Erlernens, moralisch besser wäre, anderen zu helfen.

Es ist also die Kollision von Werten, die den „moral saint“ zu einem „Langweiler“ macht, mit dem niemand etwas anfangen könnte. Aber nicht, weil wir alle so schlechte Menschen sind, dass uns der Neid den „moral saint“ als „Langweiler“ bezeichnen lässt, sondern weil ein „moral saint“ keinerlei gesellschaftliche Werte, wie Kultur und Humor hätte, so sie der Moral entgegenstehen.

Um dies besser zu verdeutlichen vergleicht Susan Wolf den „ moral saint“ mit einem Leistungschwimmer, der für Olympia trainiert und diesem Ziel ähnlich dem „moral saint“ unterordnet. Der Unterschied ist, dass für den Leistungschwimmer andere Werte nicht ihren Wert völlig verlieren, wie Musik machen, Bücher lesen oder ähnliches. Er ordnet sie nur temporär dem Ziel Olympia unter. Beim „moral saint“ verlieren aber alle Werte ihren Wert, so sie mit der Moral kollidieren.

Gemeint ist also sowohl eine zeitliche Kollision, also auch eine Kollision der Werte, gemeint, dass ein Wert einen anderen Ausschließt.

Da aber alle Werte, die Charakterbildend sind mit der Moral kollidieren muss ein „moral saint“ abstumpfen. Denn nicht nur der Kultur wird kein Wert beigemessen, auch sich selbst kann der „moral saint“ keinen Wert zugestehen. Denn absolut altruistisch wie er ist, denkt er an andere, immer, also nie an sich selbst.

Wer aber keinen Charakter ausbilden kann, wird auch nicht glücklich. Wie auch immer dieses Glück aussieht. Glücklich sein setzt aber ein „Ich“, welches sein „Glück“ realisieren kann, voraus.

Das genau aber ist das Problem der Figur „loving saint“, denn er hat sich aus rationalen Gründen für den Weg des „loving saint“ entschieden. Er könnte diese Entscheidung aber nicht rational begründen, wenn er dieses Gedankenexperiment auch angestellt hätte. Kann er sich aber nicht mehr rational rechtfertigen, bricht also der Grund ein „moral saint“ zu sein weg, kann er nur noch als Fanatiker weiter „moral saint“ sein. Das aber ist sicher nicht wünschenswert.

Der „loving saint“ jedoch hat, wie eingangs erwähnt, ein anderes Problem. Er kann aus aller Liebe sich aufzugeben wollen um nur dem Glück anderer zu diene, er muss sein Glück nicht wollen, so wie es der rational saint schon muss, da er noch andere Werte gekannt hat bevor er „moral saint“ wurde. Der „loving saint“ aber hat das Problem, dass auch er seine Grundlage verliert, seine Liebe zu anderen Menschen. Denn er kann nicht andere Lieben, wenn er keinen Charakter hat, ja sich selbst sogar verachtet. Auch ihm wird der Grund ein „moral saint“ zu sein logisch entzogen und er könnte nur als Fanatiker weiter ein „moral saint“ sein.

All diese Überlegungen stellt Susan Wolf im Hinblick auf den “common sense“ an, also die allgemeinen westlichen Vorstellungen von der Moral. Sie untersucht allerdings auch noch den Utilitarismus und die kantische Moral. Ich kürze hier allerdings ab, da die Argumente in der Abhandlung des „common sense“ alle vorkommen. Es soll lediglich noch gezeigt werden, dass das Problem nicht nur entsteht, weil der „common sense“ ein zu undifferenziertes Moralsystem ist. Die selben Probleme tauchen auch beim Utilitarismus und bei einem Kantianer auf.

Noch einmal kurz zusammengefasst, problematisiert Susan Wolf in ihrem Aufsatz den absoluten Geltungsanspruch der Moral. Dabei steht nicht die Untersuchung im Fokus, ob Moralsysteme diesen Anspruch haben, das wird vorausgesetzt, sondern die Auswirkungen eines solchen Anspruches. Wie wäre ein Mensch, der immer so moralisch gut wie Möglich handeln würde und wäre es wünschens-, bzw. erstrebenswert ein solcher Mensch zu werden. Sie zeigt, dass es ein „moral saint“ nicht wünschenswert ist. Denn es gebe noch andere Werte, dem der Mensch Wert zuschreibt und die Wichtig für die Charakterbildung sind, die aber keiner moralischen Wertung unterstehen. Susan Wolf argumentiert also gegen einen absoluten Geltungsanspruch der Moral.

Im weiteren will ich in einem Satz den Denkanstoß Susan Wolfs für eine Auflösung des Problems darstellen und dann eigene kritische Überlegungen anführen.

Ohne in diesem Aufsatz ihre Theorie weiter auszuführen, gibt Susan Wolf einen Ausblick für dieses Dilemma. Der Mensch könne intuitiv entscheiden wann etwas moralisch zu beurteilen sei und wann nicht.

Hier will ich anknüpfen, kurz nur im Bezug auf den Theorieansatz Susan Wolfs. Ich denke, dass es nicht ausreichen wird, diesem Problem Herr zu werden, indem man dem Menschen die intuitive Kompetenz zu spricht, schon zu wissen, wann etwas moralisch zu beurteilen und wann nicht. Nicht nur, das diese Kompetenz nur sehr schwer nachweisbar wäre, sondern vor allem sehe ich ein Problem in der Austauschbarkeit, der Zufälligkeit im Umgang mit diesen normativen Aussagen. Auch wenn es keine moralischen Urteile sind, so müssen sie doch einen Wertanspruch haben, um sich auch gegen die Moral abzugrenzen. Normative Ansprüche sind aber immer zu rechtfertigen.

Aber auch sonst entstehen Probleme bei der Differenzierung der gegenüberstehenden Wertsysteme: Moral einerseits, Charakter- und Kulturwerte andererseits. Wo kann man die Grenze ziehen, zwischen diesen beiden Ansprüchen? Wie weit darf die Moral in ihrem Anspruch zurückgedrängt werden ohne, dass es unmoralisch werden. Und was ist überhaupt ein Maßstab dafür?

Es müsste ja ein Wert gefunden, bzw. konstruiert werden, der höher als der moralische und der „Charakter und Kultur“ Anspruch ist. Denn nur dieser höhere Wert könnte bestimmen, wo genau die Grenze zwischen den Wertansprüchen liegt. Was aber soll eine Grundlage dieses Wertes sein. Es kann nicht mehr der Mensch als soziales bzw. moralisches Wesen sein, was oft zumindest als Grundgedanke für Theorien gedient hat. Der Mensch als eine Mischung aus moralischem und sozialen Wesen ist aber eine sehr schwammige Grundlage.

Das Problem, das Susan Wolf aufgezeigt hat, wirft also wiederum eine Menge Fragen auf. Fragen, die sicherlich nicht aus dem Stegreif zu beantworten sind und die einer Prüfung bedürfen. Diese sprengt aber den Rahmen dieses Textes. Wichtig festzuhalten ist aber, dass der absolute Geltungsanspruch der Moral ein Problem enthält, ein philosophisches Problem, das entscheidend für die Bestimmung eines „guten“ Lebens ist, bzw. für die Voraussetzung eines solchen.

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