In diesem Essay möchte ich der Frage nachgehen, ob und inwieweit der Mensch Teil der Schöpfung ist und welche Auswirkungen dies hat. Schöpfung ist ein sehr glaubensgeprägtes Wort, ich werde es hier nur unter einem denktheoretischen Ansatz berücksichtigen.
Dabei werde ich die Beziehung zwischen Sein (Schöpfung) und Seele betrachten, um dann die Stellung des Menschen im Ganzen zu suchen und inwiefern diese mit dem Schmerz, dem Dorn, zusammenhängt.
Ist das Sein ungeworden und wird nie enden? Diese Frage zu klären, heißt auch, die Frage nach der Schöpfung und die Frage nach dem Schmerz des Menschen zu beantworten. Um eines vorwegzunehmen: Ich werde ein Gedankenmodell entwerfen, was die allgemeine Meinung über das Sein zumindest ein wenig in Frage zu stellen versucht.
Das Sein gilt gemeinhin als eleatisch, wichtig für die folgenden Überlegungen: ungeworden. Das muss aber nicht sein, es kann auch anders gedacht werden. Es gibt eine zu denkende Ebene, die höher ist als das Sein: die Ebene der Prinzipien, in der das Sein nur eines unter vielen ist. Die Prinzipien existierten ohne zu sein. Es ist zum Beispiel ein Prinzip zu denken, das besagt, dass es nur das Nichts gibt. Es bestünde also ein Prinzip, ohne dass es ist, weil nichts ist. Die Prinzipien sind also nicht vom Sein abhängig. Wenn man das hinnimmt, kann man durchaus zu der Überlegung kommen, dass das Sein geworden ist. Wodurch aber ist es dann geworden? Das Sein kann nur durch einen Fehler entstanden sein denn:
Das höchste Prinzip in der Ebene des Seins ist das Kausalitätsprinzip: Ursache und Wirkung, auf Aktion folgt Reaktion. Das Sein hat aber keine seiende Ursache, allerdings eine seiende Wirkung. Das Sein hat also schon einen Fehler in sich. Das Prinzip eines Fehlers ist das Kaos . Das Prinzip in der Ebene des Seins müsste also das Kaos zur Folge haben, das Sein müsste aus Kaos bestehen. Dem ist aber nicht so. Alles Seiende ist geordnet, perfekt im System des Seins verankert. Mit einer Ausnahme: der Mensch.
Hier kommt jetzt die Seele ins Spiel. Denn nur sie kann der Grund für dieses Kaos im Menschen sein, denn sonst unterscheiden wir uns nicht von dem Rest der Schöpfung, dem Seienden. Die Seele bringt das Bewusstsein ins Sein und das verursacht den Schmerz des Menschen:
Zum einen birgt das Bewusstsein schon ein Problem in sich: Es gibt dem Menschen die Möglichkeit zu erkennen und dafür das Werkzeug der Reflexion. Wenn der Mensch sich selbst zu erkennen versucht, tut er das mittels Reflexion. Er kann sich selbst dann zwar zum Teil erkennen, ihm ist aber auch bewusst, dass der Teil, der gerade reflektiert, auch zu ihm gehört, er ihn aber nicht erkennen kann, es sei denn er reflektiert wieder über diesen Teil, der vorher noch reflektiert hat. So kommt man in einen unlösbaren Kreislauf. Der Mensch weiß also, dass er ist, aber er weiß auch, dass er sich nie ganz erkennen wird. Dadurch entsteht ein Schmerz der Trennung, von sich selbst, aber auch eine Freiheit zur Selbstbestimmung.
Das Bewusstsein bring ein weiteres Problem mit sich: Der Mensch muss und kann sich nicht mehr unbedingt als Teil der Welt sehen. Er weiß, dass durch die Erkenntnis er der Welt gegenüber steht, er ist quasi Fremder in seinem eigenen Zuhause. Und er weiß auch, dass trotz Erkenntnis niemals diese Welt ganz zu erkennen sein wird. Dadurch wird der Schmerz des Reflexionsproblems noch verstärkt, aber auch hier entsteht erneut Freiheit: die Freiheit von der Natur. Der Mensch ist durch das Bewusstsein in der Lage, seine Instinkte zu ignorieren, und somit frei, sein Leben selbst zu gestalten. Dass dadurch wiederum Probleme entstehen und der Schmerz verstärkt wird, muss hier, glaube ich, nicht ausgeführt werden, denn ich suche ja nach der Ursache.
Wenn die Seele aber für dieses Kaos, den Fehler im Sein verantwortlich ist, ist folgendes Modell denkenswert:
Wenn das Sein durch einen Fehler entstanden ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch durch einen Fehler wieder aufhört zu existieren.
Dieser zweite Fehler könnte die Seele sein. Sie wird gemeinhin als wohlgeordnet und perfekt gedacht, kommt dann aber in die Welt des Seins und verursacht in dieser wohlgeordneten Welt das einzige Kaos, was in ihr zu finden ist. Eigentlich sollte es doch andersherum sein: Die wohlgeordnete perfekte Seele sollte das einzig Geordnete der Seinswelt sein, in welcher das Kaos herrschen müsste. Und genau deshalb könnte die Seele der zweite Fehler sein, der aus der Konsequenz des ersten aufgetreten ist, um diesen aufzuheben. Es wäre also zu denken, dass nach Verschwinden des zweiten Fehlers der erste auch aufgehoben wird. Dieser war die Grundlage des Seins zu existieren.
Bezogen auf den Menschen würde dieses Gedankenmodell bedeuten, dass er nur ist um jedes Sein zu zerstören! Wenn der Mensch nur da ist, um den Fehler des Seins „auszubügeln“, welch trübe Zukunft würde sich da auftun. Aber wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet, ist es nicht das Abwegigste zu behaupten, dass die Richtung dieses Gedankenmodells durchaus zu finden ist. Der Mensch hat seit seinem Bestehen immer höheren Technikstand zu erreichen versucht. Dieses Technikwissen ist allerdings zu einem beträchtlichen Maß zur Vernichtung von Menschen verwendet worden. Sein Streben ging so weit, Waffen zu bauen, die in der Lage sind jedwedes Leben auf diesem Planeten auszulöschen. Heute ist ihm das möglich. Ich will nicht behaupten, dass es realistisch ist anzunehmen, der Mensch werde sich in nächster Zeit auslöschen, aber denkbar ist es. Die technische Möglichkeit besteht. Das sollte man sich durchaus vor Augen führen.
Ein Einwand wird sein, der Mensch könne zwar sich selbst auslöschen, aber doch nicht alles Sein, diese Waffenkraft ist nicht zu denken. Aber wie oben beschrieben, könnte die Entfernung der Seelen aus dem Sein, das Ende des Seins überhaupt bedeuten.
Wenn der Sinn des Menschen also nur in der Auflösung allen Seins besteht, warum diese dann nicht beschleunigen? Ich habe aber dieses Modell nicht aufgestellt, um diese Schlussfolgerung zu ziehen, sondern um den Schmerz des Menschen zu lindern, ihm den Dorn zu ziehen. Auch wenn ich es nicht vermag, den Schmerz während des Lebens zu mindern, das gelänge nur durch die Minderung der Freiheit, so kann ich doch eine Prognose dafür abgeben, dass nach dem Tod, also der Trennung von Körper und der Seele, der Schmerz sofort vergeht. Dass dies keine neue Erklärung ist, weiß ich auch. Nach dem Tod kommt das Paradies, viele Religionen oder Philosophien arbeitet mit diesem Prinzip, ich aber sage: Nach dem Tod kommt das Nichts, was ein unendlich größerer Garant für die Aufhebung des Schmerzes ist als irgendein zu denkendes Paradies.
Ich habe aber eine plausible Erklärung gegen den Selbstmord und zur Bejahung des Lebens gegeben. Denn kämen in einem Augenblick alle Menschen auf die Idee Selbstmord zu begehen, wäre das Sein aufgehoben. Dieses Sein ist aber die einzige Möglichkeit der Seele Freiheit zu erlangen, denn im Nichts gibt es keine Freiheit.
Aus diesem Gedankenmodell muss also nicht eine trübe Zukunft folgen, sondern es entsteht eine neue Notwendigkeit sein Leben zu gestalten. Denn der einzige Vorteil, den die Seele durch die Verbindung mit dem Körper erhält, ist die Freiheit: die Freiheit von der Natur und vor allem die Freiheit zur Selbstentfaltung und –gestaltung. Die Seele bekommt also die Chance sich selbst zu definieren. Welches andere Prinzip kann das denn noch? Der Schmerz ist dafür zwar ein großer Preis, aber er ist wie die Freiheit seinsgebunden und wird verschwinden, wenn die Seele sich vom Körper trennt und ins Nichts zurückkehrt. Dort ist die Seele dann zwar ungebunden, aber auch unfrei. Es ist also nicht die Frage, ob aus dem Bewusstsein etwas gewonnen wird oder ob die Dornenkrone, die es uns aufsetzt, uns wirklich ein Dorn ist, sondern nur die Frage nach einer Entscheidung. Diese wird die Dornen in der Krone zwar nicht in Samt verwandeln, aber sie lässt uns doch zu Königen werden:
Wir können regieren statt regiert zu werden!