geänderrte Fassung von Soeren Onez um 14.44 Uhr am 3. September 2006
Ich habe auf dem Weg nach Weimar einen Artikel im Cicero Ausgabe August 2006 gelesen. Diesen Text habe ich so interessant gefunden, dass ich ihn hier zusammenfassen muss.
„Mein Blut kochte“ von Yossi Sarid
Erstmal muss, denke ich, erwähnt werden, dass Yossi Sarid israelischer Bildungsminister und Mitglied im Ausschuss für Außen- und Sicherheitsfragen war. Das ist wichtig. Denn er schreibt, wie Entscheidungen in diesen Ausschüssen getroffen werden. Nicht wohlüberlegt, wie ich gehofft hatte sondern eher emotional, betroffen, getroffen. So wie man es vielleicht oft geahnt hat, diese Erfahrung nutzt er um einen Appell an sein Land und die ganze Freie Welt zu formulieren.
Er schreibt, dass er sich wünschen würde, in Israel würden Planungen zum Kriegseinsatz nicht am Tag des Auslösers getroffen, sondern mit ein wenig Abstand. Auch er habe sich mitreißen lassen, vom Elend der jeweiligen Situation, schon wieder angegriffen worden, schon wieder Soldaten verschleppt, schon wieder…
Dennoch sei die Stimme der Hardliner zu laut, die der Moderaten zu leise, die Planungen sähen zu gut aus, auf dem Papier. Doch zu oft seien schon die Auswirkungen dieser schnellen Reaktionen so verheerend gewesen: „Ich erinnere mich an keine Selbstprüfung, weil in diesen Augenblicken das Blut kocht, in den Kopf schießt und blind macht.“
Der Erste Teil des Textes scheint der Appell eines Pazifisten zu sein. Umso mehr überrascht, er sei „nicht grundsätzlich gegen die Anwendung von Gewalt, wenn dies erforderlich ist.“
Aber! Und jetzt entwickelt Yossi Sarid einen Gedanken, eine Metapher, die ihre Macken hat, aber dennoch treffend ist: die der geladenen Pistole. Eine Geladene Pistole auf die Terroristen, Feinde gerichtet, sei viel Abschreckender als eine, die andauernd losgeht, wild um sich schießt, aber selten trifft.
Ja er hinkt, aber er wird ausführlicher. Was habe es gebracht Beirut zu bombardieren, wenn die israelischen Truppen vor nicht allzu langer Zeit in Beirut gewesen sind und nichts geändert haben?
Dieser Frage folgt er, Zweifelt an der Moralität Amerikas und Israels im Kampf gegen den Terror. Vietnam, Somalia, Afghanistan, Irak, Guantanamo. Nur einmal sei durch Krieg Frieden erreicht worden, im 2. Weltkrieg.
Das ist der Punkt an dem mich der Text stört, 2. Weltkrieg, nein, die Situation missversteht er, denke ich. Diese Auswirkungen will er auch nicht. Denn Deutschland war nach dem 2. Weltkrieg komplett zerstört, ganz, noch viel mehr als Gaza oder Beirut. Deshalb konnte Frieden gewonnen werden, es gab keine andere Chance. Zudem gab es bereits eine, wenn auch kleine und missglückte Erfahrung mit Demokratie in Deutschland.
Aber diese Länder sind nicht so zerstört, wie es Deutschland damals war, weder real noch moralisch, ideologisch. Darin liegt das Problem. Nur, Hitler konnte zeigen, wie zerstörerisch und unmoralisch seine Ideologie ist, aus dieser Geschichte ist zu lernen, mit Einschränkung. Das genau ist der Antiterrorkampf, Lernen aus der Geschichte, dem fundamentalistischen Islamismus diese Chance nicht zu geben, die Nazideutschland damals so verheerend genutzt hatte.
Yossi Sarid endet mit einem Satz, dem ich nicht hinzu zu fügen habe, der so wahr wie auch pathetisch ist und sicher nicht zu mehr als einer Floskel reicht, einen Weg aufzeigen mag, aber sicher nicht im jetzt und hier.
Vielleicht muss erst der Nahe Osten aussehen, zerstört sein, in Denken und Städten, wie Deutschland 1945, um solche Pläne verwirklichen zu können. Dennoch sollte man mehr auf so einsame Rufer in der Wüste hören, wie Yossi Sarid einer ist, sein Appell sei zugleich auch meines:
Kommentare
Zu den letzten 2 Sätzen will ich mal etwas anfügen:
Die meisten Waffen besitzen kein Holster. Ausserdem ist es komplizierter miteinander zu reden, als den Abzug zu betätigen. Du weisst ja, der Mensch ist faul, sicher auch in dieser Bezeihung.
Ja das mag sicher einer der Gründe sein, sicher aber auch nicht der Einzige.
Das scheint mir das Problem, alle Probleme im Nahen Osten sind so vielschichtig.
Gedankensplitter zu später Stunde von einem neuen, Dir bekannten, Gast.
Zwei Ausgangssituationen können eine Region und/oder ein Land in meinen Augen dauerhaft befrieden: Entweder die totale Niederlage, also die Unmöglichkeit des erneuten Widerstandes oder die Einsicht einer der beiden Konfliktparteien in den eigenen Irrtum, also das Eingeständnis der eigenen Schuld und die Bereitschaft zur Versöhnung.
Beides ist ohne Frage idealtypisch zu sehen. Meist mischt sich Ehrlichkeit mit Strategie, militärische Niederlage mit terroristischer Vergeltung.
Das Deutschland 1945 zerbombt und überrollt war, ist sicher richtig. Dies mag die Voraussetzung des Kriegsendes gewesen sein, Frieden gebracht hat es höchstens mittelbar.
Das Deutschland jener Zeit konnte nur noch in Scham zurückschauen. Hitler war’s? Niemand konnte an der alleinigen Kriegsschuld zweifeln. Ungleich schwerer wog die Verantwortung für das Grauen des Völkermords.
Eine erdrückende Last? Die Wortkargheit der älteren Generation kann nicht überraschen.
Bloß schnell weitermachen, wieder beginnen, das Land aufbauen.
Nicht zuletzt gerade die Klausel der alleinigen Kriegsschuld im Versailler Vertrag spielte den Antidemokraten in die Hände und erklärt, warum Eric Hobsbawm von einem dreißigjährigen Krieg zwischen 1914 und 1945 spricht. Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland geschlagen, moralisch jedoch selbstsicher wie zu Wilhelms Zeiten. Der Platz an der Sonne wurde überschattet, der Dolchstoß streckte die ungeschlagenen deutschen Armeen feige nieder.
Das werdende deutsche Reich der sterbenden Weimarer Republik fühlte sich betrogen und die Selbstgerechtigkeit verdrängte den Minderwertigkeitskomplex des Volks ohne Raum.
Das Deutschland von 1918 fühlte sich im Recht. Völkerrecht und Versailles, Diplomatie und die Siegermächte entrechteten es im Namen der Gerechtigkeit, so der Reflex weiter Bevölkerungsschichten, die intellektuellen Eliten eingeschlossen.
Das Deutschland von 1945 schämte sich. Marshallplan und Wiederaufbau, das Glück der Westzonen versprachen die Räumung der Trümmer, die Linderung des Hungers.
Der Irak war und ist militärisch ein Nichts. Die Ausweglosigkeit des Terrors ist augenscheinlich, die Hoffnung, das Land regierte sich selbst anstatt im Bürgerkrieg zu versinken mindestens mutig. Dennoch herrscht in diesem Land kein Frieden, obwohl die militärische Potenz des Irak marginal ist, wie es jene Deutschlands 1945 war.
Terror braucht keine Armeen, einen Krieg gegen ihn zu gewinnen kann nur gelingen, wenn man das Motiv des Terrors nimmt.
Deutschland konnte befriedet werden. Neben anderen Faktoren halte ich die augenscheinliche Schuld Deutschlands von 1933 bis 1945 und die Unmöglichkeit jene zu leugnen oder gar offen dagegen zu opponieren für den entscheidenden Baustein des Friedens.
Deutschland fügte sich. Der Irak, der Iran oder Syrien werden sich nicht fügen, wenn sie die Gewalt gegen sich als ursächliche Aggression begreifen. SIE sehen sich im Recht. Erneut ist es die Übermacht der westlichen Demokratien, die in ihren Augen Freiheit erzwingt, gewaltsam befriedet.
Dies führt zum Carl Schmitt’sche Szenario: die künstliche Einhegung des Naturzustandes, das Verbot des Krieges, die Rhetorik der Menschenrechte wird zum Instrument der Barbarei. Wer die Menschenrechte verletzt, wird selbst zu Bestie. "Gewalt" gegen diese ist keine Rache. Krieg gegen die angebliche Unmenschlichkeit verliert das Kriegerische.
Menschlichkeit des Schwertes.
Die Schmitt’sche Antwort auf das "Wie denn Frieden schaffen?" überrascht: Hinfort mit dem Tabu des Krieges.
Hey Nik, danke für deinen langen Beitrag. Ich habe momentan viel zu tun, werde aber gerne darauf noch inmal eingehen, an gewissen stellen bin ich anderer Meinung, bzw. würde veilleicht andere Schwerpunkte setzen. Die Theorie Schmitts hört sich sehr interessant an, hast du da eine Leseempfelung für mich?
Hallo!
Ich selbst kenne Schmitt primär ebenfalls nur marginal, jedoch arbeitet sich Habermas immer wieder an ihm ab. Zwei Werke stechen dabei ins Auge:
1. Der Begriff des Politischen(1932), Berlin 1979.
2. Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), Berlin 1988.
Neben vielem anderen zählen wohl "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" und vor allem seine Unterscheidung von "Legalität und Legitimität" zu den gewichtigsten Werken.
Ihm wird immer wieder vorgeworfen, Apologet des Nationalsozialismus gewesen zu sein. Zum einen bleibt jedoch die Frage bestehen, ob ihn Opportunismus oder Überzeugung an den Abgrund führten und zum anderen scheint bei aller Brisanz sein Werk kaum zu umgehen sein.
Nietzsche nicht mehr lesen, weil Hitler Ihn verehrte? Heidegger nicht mehr denken, weil er keinen Charakter zeigte?
Kant nicht mehr lesen, weil die Vernunftbegabung der Frau schlicht "geleugnet" wird?