Ich möchte in diesem Vergleich Äußerungen des Kallikles in Platons Dialog „Gorgias“ mit denen Friedrich Nietzsches Vergleichen und klären, inwieweit sich die Positionen unterscheiden. Dafür werde ich nicht die Widerlegung des Kallikles durch Sokrates hinzuziehen, sondern nur die Ausgangsposition des Kallikles betrachten.Deshalb sei angemerkt, dass Kallikles im Verlauf des Gesprächs mit Sokrates einige Male widerspricht und seine Position sich wandelt, ohne jedoch die Kernaussage zu verlieren. Diese führt Sokrates auf einen Widerspruch.Zunächst eine Eingliederung in den Kontext des Dialogs, um die Aussage des kallikles besser einordnen zu können: Sokrates diskutiert mit Polos darüber, was besser sei: Unrecht tun oder Unrecht leiden? Sie kommen zu dem Schluss, das Unrecht leiden besser sei, als Unrecht tun und daraufhin tritt Kallikles in das Gespräch ein, der nicht glauben kann, dass dies kein Scherz von Sokrates sei. Kallikles vertritt im folgenden die Gegenteilige Position. Aus dieser Position werde ich nun einige Textstellen heraus greifen und sie zunächst unkommentiert einigen Zitaten Nietzsches gegenüberstellen:1. Kallikles„Für einen Mann ist das Unrechleiden ja kein annehmbarer Zustand“ (Alle hier aufgeführten Zitate des Kallikles sind aus Platons Dialog „Gorgias“ 483 B-E entnommen.)1.1 Nietzsche„Die vornehme Art Mensch fühlt sich als werthbestimmend, sie hat nicht nöthig, sich gutheissen zu lassen, sie urtheilt was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich, sie weiss sich als Das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist wertheschaffend.“ (Friedrich Nietzsche. Jenseits von gut und Böse: 260. S. 209.)2. Kallikles„Doch die Gesetze, glaube ich, sind von den Schwachen und von der großen Masse gemacht. Zu ihren Gunsten und zu ihrem eigenen Nutzen stellen diese die Gesetze auf“2.1 Nietzsche„So lange die Nützlichkeit, die in den moralischen Werthurtheilen herrscht, allein die Heerden-Nützlichkeit ist, so lange der Blick einzig der Erhaltung der Gemeinde zugewendet ist, und das Unmoralische genau und ausschliesslich in dem gesucht wird, was dem Gemeindebestand gefährlich scheint: so lange kann es keine „Moral der Nächstenliebe“ gebe. Friedrich Nietzsche. Jenseits von Gut und Böse: 201. S.121.3. Kallikles„Denn da sie [die Schwachen] weniger wert sind, sind sie, glaube ich, zufrieden, wenn sie nur den gleichen Anteil haben.“3.1 Nietzsche„Umgekehrt werden die Eigenschaften hervorgezogen und mit Licht übergossen, welche dazu dienen, Leidenden das Dasein zu erleichtern: hier kommt das Mitleiden, die gefällige hülfsbereite Hand, das warme Herz, die Geduld, der Fleiß, die Demuth, die Freundlichkeit zu Ehren.“ Friedrich Nietzsche. Jenseits von Gut und Böse: 206. S. 211.Die inhaltliche Nähe dieser drei Zitate ergibt sich aus diesen selbst und muss nicht weiter erläutert werden. Doch ich möchte dennoch auf die Position des Kallikles eingehen um dann die Unterschiede Nietzsches auszumachen.Kallikles Position ist eine nicht-moralische. Er lehnt das Gesetz ab und beruft sich auf die Regeln der Natur. Das Gesetzt steht hier für sittliche Gesetze und moralische Vorschriften, die die Gemeinschaft macht. Kallikles mein, dass diese Gesetze nur gemacht wären um den Schwachen zu dienen und somit die Starken knechte. Diese hätten aber von Natur aus das Recht zu herrschen. Er akzeptiert die Geltung einer Moral nicht, da sie der Natur widerspreche. Moral ist eine Erfindung der Schwachen. Kallikles will keine andere Moral, sondern überhaupt keine Moral. Seine Argumentation ist begründet auf die Existenz eines Naturrechts des Stärkeren.Hier sehe ich den Unterschied zur Position Nietzsches. Die drei Zitate sind aus dem Werk „Jenseits von gut und Böse“ welches eine Analyse der Moral vornehmen möchte um diese zu revidieren. Nietzsche zeigt auf, dass Moral ein philosophisches Problem ist. Das heißt, nicht nur ethische Grundsätze und moralische Gesetze sind problematisch und müssen auf ihre Geltung hin untersucht werden, sondern die Moral überhaupt. So versucht Nietzsche zu zeigen, dass das, was als Moral verstanden wird, ohne Begründung der Existenz von Moral keine Geltung haben kann. Die Zitate müssen also im philosophischen Kontext gesehen werden. Kallikles geht von einem Naturrecht aus, dass dem moralischen Gesetz widerspricht. Nietzsche untersucht Moral und findet in ihr Widersprüche. Das sind ganz unterschiedliche Argumentations- und Reflexionsansätze. Kallikles begeht den selben Fehler, den Nietzsche Moraltheoretikern vorwirft: Er geht von einem Gesetz aus, dessen Existens erst bewiesen werden müsste. Kallikles Argumentation steht und fällt mit der Behauptung des Naturrechts. Er setzt lediglich an die Stelle der moralischen Gesetze die natürlichen Gesetze, so wie er sie sieht, ohne dafür Gründe anzugeben. Beispiele aus dem Tierreich sind seine einzige Untermauerung, diese können aber nicht als Gründe gelten, da Beispiele niemals Gesetzmäßigkeiten beweisen oder begründen können.Ob Nietzsche ebenfalls zu einer Art Naturrecht in seinen Überlegungen kommt, oder ob seine Philosophie eher eine Tugend-Moral darstellt ist umstritten. Es kann jedoch festgehalten werden, dass Nietzsche ganz anders an das Problem herangeht, als dies Kallikles tut. Seine Methode ist die philosophische. Er hinterfragt Moral und kommt so zu Schlüssen, die denen des Kallikles ähneln, aber keinesfalls die gleichen sind. Zudem sind diese Schlüsse nicht das Ende seiner philosophischen Überlegung, sondern stellen lediglich die Grundlage seiner praktischen Philosophie dar.Ich habe in diesem Text gezeigt, dass sich die Positionen Nietzsches und Kallikles deutlich unterscheiden. Sowohl in ihrer inhaltlichen Bedeutung, als auch in der Herangehensweise. Kallikles lehnt die philosophische Betrachtung ab und gründet seine Position nur auf einer Gegenbehauptung. Nietzsches Position zeichnet sich aber durch philosophische Reflexion aus.

Kommentare

Ich lese gerade das erste Mal auf deinem neuen Blog und hatte schon sehr viel Spass und auch Lust zu kommentieren. Da zu diesem Beitrag, den ich mit viel Interesse gelesen habe, noch nichts gesagt wurde, will ich hier dann doch noch meinem Drang nachgeben.Erstmal finde ich es als Leihe sehr dankenswert, dass du einen relativ kurzen und sehr verständlich geschriebenen Text zu einem spannenden philosophischen Themenfeld geschrieben hast. Ich finde den Artikel darüber hinaus besonders gut, weil man beim Lesen die Möglichkeit bekommt selber nachzudenken, wo denn der Unterschied der beiden Positionen besteht.Inhaltlich stimme ich dir zu, dass die beiden Ansichten, ganz platt ausgedrückt, auf unterschiedlichen Ebenen der philosophischen Reflexion stehen. Auch wennn man also auf den ersten Blick eine nähere Verwandtschaft der Ideen vermuten würde, könnte Nietzsche mit der Gestalt aus dem Dialog von Sokrates wohl nicht auf einen grünen Zweig kommen.Aber mal von dem inhaltlichen Unterschied abgesehen, dass zur Zeit der Griechen eine vermeintlich objektiv gute Ordnung subjektiv bestimmt wurde wohingegen Nietzsche jegliche gute Ordnung für unbestimmbar hielt um sich dann ins subjektive Bestimmen zu verlieren, wirkt es so, als würdest du auch die Methodik vergleichen. Derartige, vielleicht zweideutige Schlussfolgerungen, finde ich deshalb für unkundige Leser verwirrend, weil Kallikles auch nur Teil des Dialogs ist und somit „weitere Überlegungen“ sowie insbesondere eine eigene philosophische Methodik ziemlich irrelevant sind. Dazu müsstest du den Dialog als Form der Reflexion näher Betrachten und würdest dich von der eigentliche Aussage deines Textes nur entfernen.Bei alledem ist meiner Meinung nach besonders bemerkenswert, dass Kallikles Ansichten – auch wenn sie lediglich nachvollziehbare Behauptungen sind, welchen sich der Philosoph zu stellen hat – sich erst duch nähere Unterscheidung von Kernaussagen der Philsoophie Nietzsches abgrenzen lassen. Natürlich handelt es sich bei den Entwicklungen in der Diskussion um die Bestimmbarkeit eines Naturgesetzes nicht nur um philsophische Denkspielchen, die kaum der Beachtung wert wären, doch bleibt die Ähnlichkeit der Ansichten verblüffend. Vielleicht hast du dazu ja ein paar Anregungen.